911 S 2.2 „Safari“

Sonne, Sand und Staub

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Mehr als eine erneute Niederlage hatte die East African Rallye 1971 für Porsche nicht im Angebot. Wieder einmal blieb die Konkurrenz siegreich, ging das Werk leer aus. Immerhin, das Auto des spät ausgefallenen Teams Waldegaard/Helmer überlebte.
© Roman Rätzke

Nein, das ist nicht die Piste auf dem Weg nach Nairobi, Mombasa, Daressalam oder Kampala, sondern das Kieswerk Fischer in Tensfeld. Östliches Schleswig-Holstein, so jenseits von Afrika wie nur möglich. Aber mit dem heiser kreischenden 911 S im Safari-Trimm, den Ingo Stimming hochtourig im Drift durch Sand und Staub jagt, ist die Illusion beinahe perfekt. Einen alten Elfer mit Rallye-Vergangenheit verzärteln, sauber und steril halten, das ergibt seiner Meinung nach keinen Sinn. Wenn dieses Auto mehr als 6000 Kilometer bei einer der härtesten Rallye seiner Zeit überstanden hat, was sollte ihm dann heute noch ernsthafte Probleme bereiten?

Es gibt ein Modellauto dieses Elfers in der ungewohnten condagrün-schwarzen Farbkombination, der Startnummer 33 auf den Türen und den auf einem Rallyeauto bizarr wirkenden Weißwandreifen. Es gibt aber nur ein Original: dieses Auto, mit dem Björn Waldegaard und Lars Helmer 1971 als erste Europäer beinahe die East-African Safari-Rallye gewonnen hätten. Und es gibt die Geschichte seiner Wiederentdeckung und Restaurierung, eines über zehn Jahre dauernden Versteck- und Verwirrspiels.

Drei Teams auf drei 911 schickte Porsche 1971 ins Rennen: Ake Andersson/Hans Thorszelius (Startnummer 1), Sobieslaw Zasada/Marian Bien (19) und Waldegaard/Helmer (33). Viel Aufwand für eine Veranstaltung, die seit ihrer Premiere 1953 fest in der Hand lokaler Rennfahrer-Prominenz war. Aber mit der Aufnahme in den Kalender der Marken-Weltmeisterschaft 1971 erhielt die Safari-Rallye höchste Weihen, ein Sieg bedeutete Strahlkraft und galt als Zeugnis größtmöglicher Zuverlässigkeit.

Porsche 911 Safari
© Roman Rätzke

Im Kampf um den maximalen Werbeeffekt trieben Datsun und Ford den größten Aufwand, personell wie finanziell. Allein 34 von 112 Autos in der Starterliste waren Datsun, Ford hatte für sechs Escort rund 500 handgeschnittene, fix und fertig auf Rädern montierte Reifen im Gepäck. Auch Saab und Lancia waren mit Werksteams am Start.

DREI LÄNDER, 6211 KILOMETER im 911 S Safari

Porsche-Rennleiter Rico Steinemann sicherte Porsche zumindest eine eigene Funkfrequenz, um Kontakt zwischen den Teams und Servicekräften zu halten, und Unterstützung aus der Luft. In einem VW Variant folgten Porsche-Mechaniker dem Tross und legten dabei Tag für Tag rund 1000 Kilometer zurück.

Mit 6211 Kilometern Länge war die über fünf Tage durch Kenia, Tansania und Uganda führende 19. Safari- Rallye die bisher längste und aufgrund geforderter Durchschnitte von 147 km/h auch die schnellste. „Mitten im Verkehr jener drei afrikanischen Staaten, denen die Statistik die höchsten Unfallquoten aller Länder auf dem Schwarzen Kontinent bescheinigt“, wie der mitreisende auto, motor + sport-Reporter Helmut Luckner notierte.

Die schwedischen Porsche-Teams starteten auf zwei grünen 911 S 2.2, dem weißen Wagen hatte das polnische Duo Zasada/Bien noch eigenmächtig vor dem Start ein groß geschriebenes POLAND aufs Dach lackieren lassen. Fast hätte Zasada ja im Vorjahr den Gesamtsieg errungen und den Safari-Fluch gebrochen, aber es blieb auch 1970 beim Beinahe-Erfolg.

© Roman Rätzke

Mit defekten Stoßdämpfern und schließlich, nach einer Fahrt ohne Dämpfung über schrundige Pisten und am Ende ausgerissenen Dämpferaufnahmen, strichen Andersson/Thorszelius als Erste die Segel. Lange schien es danach, als würden tatsächlich die anderen beiden Elfer den Sieg unter sich ausmachen, nur weigerte sich der eigensinnig agierende Zasada nach gut zwei Dritteln der Strecke, trotz Teamorder den schnelleren Waldegaard vorbeizulassen. Das erzwungene Überholmanöver in einer scharfen Linkskurve endete mit einem Frontschaden im Graben und bedeutete das Aus für die Startnummer 33.

Am Ende gingen die ersten Plätze wie gewohnt an afrikanische Starter. Der deutschstämmige Vorjahressieger Edgar Herrmann kam mit Co Hans Schuller auf Datsun 240 Z als Erster ins Ziel, auf den Plätzen 2 bis 4 folgten ein weiterer 240 Z, Peugeot 504 Injection und Ford Escort. Auf Platz 5 kam das Porsche-Team Zasada/ Bien mit stockend laufendem Motor ins Ziel. Für einen Sieg hatte es mal wieder nicht gereicht. „,Schlicht eine Pleite’ nannte Steinemann die vom Pech verfolgte Porsche-Expedition“, schreibt Luckner.

Über 30 Jahre später sitzt Ingo Stimming, der beim Start der 19. Safari-Rallye im April 1971 rund drei Wochen alt ist, zuhause in Bad Segeberg auf der Couch und zappt sich im Internet mit Lust auf einen Spontankauf durch die kleinpreisigen Porsche-Anzeigen. „Meine Vespa-Sammlung und einige Projektautos hatte ich kurz zuvor verkauft und das Geld in die Firma gesteckt. Ein paar Euro waren übrig, mir stand der Sinn nach etwas Neuem – nur teuer durfte es nicht sein!“

Der 911, der nahe der Schweizer Grenze steht, sieht schlimm aus, aber allein schon die vorhandenen Ölleitungen sind damals das Geld wert. Zum Preis eines gebrauchten Motorrollers kauft Stimming das Auto.„Immerhin waren alle Papiere dabei. Das eigentliche Problem war die Abholung der nackten Karosserie, der Besitzer wollte die Reste schnell loswerden.“

Ingo Stimming (51), Porsche-Spezialist in 2. Generation mit eigenem Karosseriebaubetrieb, gibt sich keinen Illusionen hin: die verlebten Reste, die vor der Werkstatt in Bad Segeberg anlanden, entsprechen dem Preis und seinen Erwartungen. Als er Stück für Stück tiefer in die Struktur des Wagens vordringt, wundert er sich zuerst über den Schalter im Beifahrerfußraum, die verspachtelten Löcher in den C-Säulen seitlich des Heckfensters und wird stutzig, als er besonders stabil ausgeführte, gedoppelte Radhäuser entdeckt. Ein normaler Elfer ist das nicht! Oder?

© Roman Rätzke

KAROSSERIE des 911 S Safari WEIST AUF RALLYE-AUTO HIN

Stimming fragt seinen alten Bekannten Jürgen Barth um Rat, man kennt sich aus dem historischen Rennsport. Der bestätigt, dass bei dem ersten von ihm allein verantworteten Rallye-Projekt, den Autos für die Safari-Rallye 1971, genau solche Verstärkungen angebracht wurden. Auch das eingetragene Datum der Erstzulassung in den Schweizer Papieren passt, es ist der 15. März 1971. „Mein Geburtstag“, sagt Ingo Stimming. „An ein Wüstenauto hatte ich nie gedacht, aber mit den Hinweisen zum Umbau änderte sich natürlich alles.“

Und ab sofort wird es kompliziert, beinahe mysteriös. Obwohl die Fahrgestellnummer vorliegt, gibt es bei Porsche keinerlei Unterlagen zu dem Fahrzeug mehr. Keine Dokumente, keine Bilder, nichts. Alles, was auf Bau und Werdegang des 911 S 2.2 hinweist, liegt mit einem Mal unter Verschluss. Die Verantwortlichen mauern.

Über Umwege, Bekannte, Kontakte und Sammler mit Beziehungen trägt Ingo Stimming die nächsten zehn Jahre Informationen und Dokumente zu seinem 911 S zusammen. Fotos des Autos und der Rallye, vor Ort von Rico Steinmann geschossen, finden sich schließlich im Rallye-Archiv McKlein in Köln.

Als Basis für die Rallyeautos dienten mehr oder weniger serienmäßige 911 S, deren Karosserie an kritischen Stellen verstärkt und durch den Einsatz von dünnem Blech wieder erleichtert wurde. Unterfahrschutz und gut eingefahrene, elastische Drehstäbe bereiteten die Autos auf die Straßen und Pisten Ostafrikas vor, ein kurz übersetztes Getriebe begrenzte die Höchstgeschwindigkeit auf 180 km/h.

Ein größerer Tank, Zusatz-Ölbehälter und je ein Ölkühler in jedem Kotflügel, Sportsitze, Cibié-Scheinwerfer und eine Maserati-Doppelfanfare, zu betätigen über einen Schalter im Beifahrerfußraum (genau jener!) erweiterten das Paket. Auch für die ungewöhnlichen Weißwandreifen gab es einen Grund: Die US-amerikanische Kaufhauskette Sears, die als Sponsor der Safari-Rallye auftrat, wollte mit eigenen Pneus ins Reifengeschäft einsteigen und rüstete einige Teams damit aus.

„Beim Motor“, sagt Ingo Stimming, „haben sie wohl wie alle Teilnehmer gemogelt. Offiziell steckte ein 2,2-Liter drin, in Wirklichkeit hatten wohl alle drei Motoren etwas mehr Hubraum. Ein zweiter Zündkreis und ein zusätzlicher, mit Schläuchen ausgestatteter Ölkreislauf als Ersatz für Notfälle und drei Benzinpumpen waren von Anfang an drin.“ Die drei Werkswagen gingen mit den Stuttgarter Kennzeichen S - AA 4826 (Startnummer 1), S - AA 4827 (19) und S - AA 4825 (33) an den Start.

Arbeit hinter dem Steuer des Porsche 911 S 2.2
© Roman Rätzke

Anhand von originalen Fracht- und Zollpapieren lässt sich nachvollziehen, dass das Waldegaard-Auto mit einem Flugzeug der Alitalia nach Afrika reiste. „Den Andersson-Wagen hat Porsche wieder mit zurück genommen, der diente später als Übungsauto in einer Rallyeschule.“ Heute weiß Stimming, dass eines der beiden vorausgeschickten Trainingsautos später fälschlicherweise zur Startnummer 33 erklärt wurde – was er heute widerlegen kann.

KARRIERE ALS GRUPPE 4-AUTO

„Es hat zwölf Jahre gedauert, bis ich die offizielle Bestätigung von Porsche erhielt, dass mein Auto der Rallyewagen von Waldegaard/Helmer ist. Erst 2015 hielt ich alle Dokumente in den Händen. Restauriert und komplettiert habe ich den Wagen nach Feierabend und an Wochenenden mit Unterstützung meines Vaters.“ Die Knitterfalten im Vorderwagen, vermutlich Spuren des ersten Unfalls in Afrika, ließen sie dabei unkaschiert.

Auch das weitere Schicksal der Startnummer 33 ließ sich größtenteils aufklären. Als Gruppe 4-Auto verkaufte die Reparaturabteilung des Werks den Waldegaard-Elfer ohne Antriebsstrang weiter. Über den Werksfahrer Jo Siffert kam der Wagen in die Schweiz und zum Rennteam Romand.

Der Schweizer Rennfahrer Claude Haldi, als Käufer gebrauchter Rennautos Stammkunde bei Porsche, berichtete Ingo Stimming von Einsätzen des ehemaligen Rallyeautos in Le Mans und bei der Targa Florio. In zahlreichen Rennschlachten ausgewrungen, wurde der Wagen 1978 als 3.0-RS-Umbau in den Straßenverkehr entlassen, umgebaut und abgenutzt. Bis ihn Ingo Stimming 2003 mit einem Klick vom Sofa in Bad Segeberg aus kaufte. „Heute glaube ich, dass das Auto einfach zu mir wollte. Dass wir beide am gleichen Tag Geburtstag haben, kann kein Zufall sein.“

VON LE MANS BIS TARGA FLORIO

Bis ins Detail, über den Meilentacho, den echten, bis 10.000 Touren reichenden Rennwagen-Drehzahlmesser, die Schutzbügel und Aufkleber hat Stimming den Wagen auf den Stand von 1971 gebracht. Komplett ist die Startnummer 33 auch fast 20 Jahre später noch nicht.

911 S Safari
© Roman Rätzke

Das originale Funkgerät würde noch fehlen, sagt Ingo Stimming, aber obwohl ein identisches Gerät im Datsun 240 Z-Siegerauto montiert sei, habe er immer noch kein Foto davon bekommen können. „Dafür konnte ich den ehemaligen Besitzer eines der Schwesterautos auftreiben. Den Wagen hatte er längst verkauft, aber einige Ersatzteile behalten. Der Tank ist also tatsächlich ein Originalteil der Safari-Rallye 1971. Und die Fahrertür meines Autos trägt sogar noch rund 70 Prozent Erstlack!“

Einen originalen Motor von damals, gelaufen zwischen Kenia, Tansania und Uganda, gäbe es auch noch da draußen, aber das dazugehörige Ersatzteilpaket würde den Kostenrahmen explodieren lassen. „Deshalb habe ich den Motor meines 911 Carrera RS 2.7 eingebaut. Der ist unempfindlich und passt zum Charakter des Wagens.“

Für die kleinen Löcher in den C-Säulen hat Ingo Stimming auch eine Erklärung gefunden: Hier verschraubte die Rennabteilung links und rechts einen Beifahrer-Haltegriff der Mercedes-Limousine W108. Steckte das Auto im tiefen Sand fest, konnte sich der Copilot an ihnen festhalten, hinten auf die Stoßstange stellen und so die Traktion verbessern. Geholfen hat es nicht, es siegten 1971 mal wieder die Anderen.


Dieser Bericht erschien in Ausgabe 6-2022, wo Sie noch weitere Bilder finden.

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