Porsche 993 Turbo S

Schwarze Magie

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Der letzte aufgeladene Elfer mit Luftkühlung war auch der Höhepunkt der klassischen 911-Turbo-Idee: massig Leistung, maximaler Komfort.
© Roman Rätzke

Als 993 Turbo S verabschiedete sich die Elfer-Legende mit 450 PS und 300 km/h Spitze in den Ruhestand. Ist das wirklich erst 20 Jahre her?

Der erste Gedanke: Was für ein kleines Auto! Zwei Jahrzehnte und vier 911-Generationen nach Produktionsende des letzten 993 später wird in nur einem einzigen kurzen Moment klar, wie stark sich Wahrnehmung und Technik seitdem verändert haben. Im Vergleich zum 993 ist der aktuelle Elfer ein großes, breites Auto, das im Jahr 2018 dennoch für Sportwagenmaße steht. Selbst ein 718 Cayman ist größer als ein 993 Turbo S, und der Turbo als Attribut der stärksten 911-Ausführung ist Normalität geworden. Mit 0,6 Liter weniger Hubraum leistet ein 911 Carrera 4 GTS heute so viel wie damals der stärkste luftgekühlte Serien-Turbo aller Zeiten. Dabei war der Turbo S damals ein Superlativ, die ultimative Kombination aus Leistung UND Luxus. Auch in der Retrospektive und unter historischen Gesichtspunkten hält er dieser Betrachtung stand. Den 993 Turbo S gab es, weil prestigeträchtige und gewinnbringende Sondermodelle seit den siebziger Jahren bei Porsche Tradition hatten und das Unternehmen um die Sentimentalität ‒ oder besser: die Stärke im Glauben ‒ seiner Kunden wusste. Der Moment, den Abverkauf der letzten Exemplare mit einem ganz besonderen Modell zu beflügeln, war günstig ‒ mit dem luftgekühlten 993 standen 50 Jahre Porsche-Sportwagenbau, stand also eine ganze Ära auf Abruf. Als der neue, der erste 911 mit Wasserkühlung schon vom Band lief, bediente Porsche die gusseiserne Kundschaft deshalb mit einer ausgewählten kostspieligen Palette an 993-Modellen weiter. Auch dieses Nebeneinander von Alt und Neu war seit dem Wechsel vom 356 zum 911 erprobt. Es machte den Abschied leichter. Weiter gebaut wurden zum Modelljahr 1998 nur die hochpreisigen Varianten 911 Turbo, 911 Carrera 4S, 911 Carrera S und 911 Targa, während die Cabrio-Versionen bereits Geschichte waren.

LEISTUNG UND LUXUS im Porsche 993 Turbo S

Der Turbo S stellte die letzte Entwicklungsstufe der Turbotechnik dar, die mit dem 408 PS starken 993 Turbo (siehe Ausgabe 4-2017) im Frühjahr 1995 erstmals in Serie die 400-PS-Marke übersprungen hatte. Bereits ein Jahr später stand die erste Leistungssteigerung zur Verfügung, 12.500 Mark teuer. Durch eine modifizierte Motorsteuerung, einen von 0,8 auf 0,9 bar erhöhten Ladedruck und einen weiteren Ölkühler thermisch optimiert, leistete der 3,6-Liter-Motor mit dem Typenkürzel M 64/60 R nun wie im GT2 430 PS. Aus optionalen 430 PS wurden auf Wunsch zum Modelljahr 1998 finale 450 PS bei 6000/min, nun auch durch größere K-24-Turbolader realisiert. Dabei stieg das Drehmoment des handverlesenen M-64/60-S-Motors von 540 auf 585 Nm bei 4500/min. Porsche bot diese „Werksleistungssteigerung II“ zum Aufpreis von 29.800 Mark für die Aufrüstung der letzten 911 Turbo an und schnürte bei gleicher Leistung ein Paket in Form des weiterentwickelten, auf Heckantrieb reduzierten GT2 mit identischem Motor. 21 Stück des zum Schluss 287.500 Mark teuren GT2 fertigte Porsche. Auch der beinharte GT2 gehörte zu den Elfer-Derivaten, die das Ende der Luftkühlung im Porsche-Motorenbau dramatisch begleiten durften.

Über alldem schwebte der 993 Turbo S, die identisch motorisierte, aber luxuriös ausgestaltete Antithese zum zweckmäßigen GT2. Mit einem Preis von 304.650 Mark im Herbst 1997 war er der bis dahin teuerste Serien-911 aller Zeiten und der erste Elfer, der über die 300.000-DM-Marke sprang ‒ ein 911 Targa kostete zum gleichen Zeitpunkt weniger als die Hälfte, und der Aufpreis zum normalen, 222.500 Mark teuren 993 Turbo entsprach ziemlich genau dem Gegenwert eines Boxster mit aufpreispflichtiger Tiptronic. Extras ab Werk machten ihn besonders. Zwar konnten das um 15 Millimeter tiefergelegte Sportfahrwerk oder der „Aerokit II“-Spoilersatz auch einzeln bestellt werden, aber beim Turbo S gehörten beide Optionen zum Lieferumfang. Es fehlte an nichts.

DAS KÜRZEL S KOSTETE SO VIEL WIE EIN BOXSTER

Da passte es ins Bild, dass die Fertigung des Turbo S die im Werk 1 beheimatete Exclusive-Abteilung übernahm. Die auffälligste Änderung im Vergleich zum normalen Turbo ‒ und gleichzeitig eine Reminiszenz an den 959 und ein Vorgriff auf den 996 Turbo ‒ waren die Lufteinlässe in den Seitenteilen hinter den Türen. Die Änderungen in Form des Aerokit II waren weniger offensichtlich. Eine größere Spoilerlippe und Lufteinlässe neben den Nebelscheinwerfern für eine bessere Bremsenkühlung unterschieden den Frontspoiler vom normalen Turbo-Pendant. Der Heckspoiler war keine in sich geschlossene Konstruktion, sondern ließ hinter dem Lüftungsgitter einen Schlitz frei und besaß an den Seiten, ähnlich wie beim GT2, nur schmaler und flacher ausgeformt, Öffnungen für die Ansaugluft. Wie bei früheren Top-Turbotypen erhielt der Turbo S eine Auspuffanlage mit optimierter Strömung und vier plakativen Endrohren. Als Leitthema zog sich der „turbo S“-Schriftzug über und durch das Auto: vom Heck über die Nabendeckel der 18-Zoll-Hohlspeichenräder bis zu Schwellerzierleisten, Teppichen, Handschuhfachdeckel und der Auslegeware im Kofferraum. Sogar den Türöffner zierte ein filigranes kleingeschriebenes „turbo S“.

ERSTMALS 300 KM/H SPITZE im 993 Turbo S

Über dem 993 Turbo S schüttete das Werk zum Ende sein ganzes Füllhorn an Extras aus ‒ es wäre sicher nicht abwegig, zu vermuten, dass en passant auch Lagerbestände an teuren Teilen abgebaut wurden. Dazu gehörten ein Carbon-Blenden-Paket für Instrumententräger, Handschuhfachdeckel, Türverkleidungen und Türöffner, Schaltknauf und Handbremshebel in Kombination mit Alu. Selbst die Aluminium-Domstrebe erhielt einen Carbon-Überzug, während die Federbeindome verstärkt worden waren.

© Roman Rätzke

Dachhimmel und Kunststoffteile im Innenraum wurden akribisch in Leder gehüllt, bei den Sicherheitsgurten durfte der Kunde zwischen den Farben Schwarz, Gelb, Blau und Rot wählen. Die Lackierung der Bremssättel in Speedgelb war hingegen Standard. Den Blick auf Spitzenleistung und modische Extras, wie hellgraue Zifferblätter und die berückend analoge Soundsystem-Fernbedienung in der Türablage, färbt heute Nostalgie ein ‒ wer würde so ein Auto schon mit gutem Gewissen richtig rannehmen wollen?

Dabei fährt ein 993 mit 450 PS weniger dramatisch, als es klingt. Im Gegensatz zum Hardcore-Elfer, dem wild losstürmenden, heckgetriebenen GT2, serviert der Turbo S sanfte Gewalt im lässig-luxuriösen Designerkleid. Es sitzt sich Elfertypisch aufrecht und nah an der steilen Frontscheibe, der Geruch ist bezeichnend für diese Generation Porsche. Das alles macht ihn zwar etwas altmodisch, aber auch heimelig. Dazu rauscht passend das Lüfterrad im Heck, während der Allradantrieb verlässlich und gut kontrollierbar die Kraft auf alle vier Räder verteilt, auf Wunsch bis zur Höchstgeschwindigkeit von 300 km/h ‒ noch so eine Marke, die der Wagen zum Ende der Laufbahn des klassischen Elfers knackt.

Vielleicht muss man den 993 Turbo S als dessen finale Entwicklungsstufe deshalb ganz anders sehen, nicht unter Leistungsaspekten, nicht als Auto ‒ sondern als Kunst.


Diesen Artikel mit vielen weiteren Bildern finden Sie in Ausgabe 4-2018.
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