Fahrbericht Taycan GTS

Zwei Wochen unter Strom

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Wie sieht es aus, das ganz normale Leben der elektrifizierten Individualmobilität, der Alltag im Taycan GTS? Wir haben den Test gemacht und zwei Wochen lang den neuesten Vertreter der Taycan-Familie wie einen x-beliebigen Passat Variant benutzt – Tag für Tag, in der Stadt und auf dem Land, unter der Woche und bei der Fahrt in den Urlaub. Ziel des Dauertests: So viele Kilometer und Eindrücke wie möglich sammeln.
Fahrbericht Taycan GTS

Der Taycan GTS in der fast schon zu undramatischen Modefarbe Kreide tritt seinen Dienst im Heel Verlag in Bestform an: zur Basisausstattung addieren sich mehr oder wenige nützliche Extras wie beleuchtete Türeinstiegsblenden (1011,50 Euro), Hochleistungsbremse (mit 8936,90 Euro der größte Extraposten) oder elektrische Ladeklappen (624,75 Euro) hinzu. Und, und, und. Am Ende liegt der Preis des üppig ausgestatteten Testwagens mit 180.713,25 Euro rund 50.000 Euro über Basispreis. Es gäbe den GTS auch als Sport Turismo, aber die Form des normalen Viertürers wirkt schlüssiger und eigenständiger. Tag 1 beginnt in der Großstadt Frankfurt am Main, mittendrin.

Wer hier eine Garage hat und nicht zwei-, dreimal am Tag mit fünf Metern Taycan auf Parkplatzsuche gehen muss, darf sich privilegiert fühlen. Auf dem engen Garagenhof reduziert die optionale Hinterachslenkung den Wendekreis merklich, aber der aufrichtige Applaus der Nachbarn vom Balkon gegenüber beweist, dass das Einparken eines modernen Taycan in eine Garage aus den sechziger Jahren durchaus als Kunststück betrachtet werden kann. Eine Alternative zu diesem Parkraum, der so eng ist, dass die Sicherheitstechnik des Taycan beim Rückwärtsausparken die Notbremse reinhaut, gibt es leider nicht nicht: Strom gibt es nur hier.

Eine Haushaltssteckdose muss in diesem Fall reichen. Bei einer Ladeleistung von rund 3 kW und einer Brutto-Batteriekapazität von 93,4 kWh, wie sie beim GTS mit Performance-Batterie Plus serienmäßig ist, ergibt sich rein rechnerisch eine maximale Ladezeit von 31 Stunden. Das macht Angst! Und eine starke Wallbox mit 11 kW-Ladeleistung bleibt ohne Eigentümer-Versammlung der Vermieter oder dazugehöriges Eigenheim Wunschdenken.

Die Lösung: der von Porsche lieferbare, 1666 Euro teure On-Board-AC-Lader mit 22 kW, der die Ladezeit drastisch reduziert. Selbsterklärend ist die umfangreiche Verkabelung nicht. Und welcher der beiden Ladeanschlüsse ist der richtige? Weil die mitgelieferte Erklärung vage bleibt, hilft nur ausprobieren. Irgendwann gibt das System grünes Licht, Strom fließt. Die Frage, wie dauerhaftes Laden eines E-Autos in einer gemeinschaftlich genutzten Garagenanlage wohl abgerechnet wird, bliebe noch zu klären ...

LADEN WIRD DAS THEMA DER NÄCHSTEN ZWEI WOCHEN SEIN.

Die benötigten Kabel für alle Fälle führt der Taycan im „Frunk“ (Front Trunk), dem vorderen Kofferraum mit sich. Mit 84 Liter Fassungsvermögen fällt das vordere Gepäckabteil klein aus, sind jedoch alle Kabel drin, ist eine weitere sinnvolle Nutzung schwer. Der hintere, 407 Liter fassende Laderaum ist tief, aber flach. Unter einer Klappe liegt hier das stets benötigte Kabel für die Ladesäule, das im besten Fall ausreicht, so dass vorne wieder Platz bleiben würde. Ist der Kofferraum hinten voll, muss zum Herausholen des Kabels allerdings erst Gepäck ausgeräumt werden.

Am nächsten Tag ist die Batterie des Taycan zu 100 Prozent geladen. Bei einer tatsächlich nutzbaren Energiemenge, einer Netto-Batteriekapazität von 83,7 kWh, verspricht Porsche im Idealfall einen WLTP-Verbrauch von 22,3 kWh auf 100 Kilometern und eine Reichweite zwischen 439 und 504 km Reichweite. Das jedoch sind Laborwerte, ermittelt auf dem Prüfstand, um eine internationale Vergleichbarkeit zu erreichen. Realistisch und unproblematisch sollen laut Porsche auf jeden Fall 400 Kilometer sein. Trotzdem wird an Tag 2 nur eine Reichweite von 304 Kilometern angezeigt. Hm ...

Fahrbericht Taycan GTS

REICHWEITE WIRD DAS ANDERE THEMA Des Fahrberichts Taycan GTS.

Bei der Berechnung der Reichweite bezieht die Elektronik Fahrweise und Verbrauch der letzten rund 600 km in die Kalkulation mit ein. Die Reichweite ist also ein Erfahrungswert, basierend auf dem Fahrstil des vorherigen Nutzers und lässt sich durch umsichtiges Fahren und Bremsen (Rekuperation) während der Fahrt verlängern. Tatsächlich: auf rund 130 km Strecke bei gedämpfter Gangart ging die Anzeige nur um 50 km auf 250 Kilometer zurück. Auch die Topographie spielt dabei grundsätzlich eine Rolle.

Den Blick von der Anzeige mag trotzdem keiner der Fahrer (und sogar Beifahrer) in den verbleibenden 13 Tagen lassen. Wie alle anderen Kollegen ist auch Verleger Franz-Christoph Heel von der Wertigkeit und Qualität des Taycan begeistert, allerdings vermiest ihm das Wissen um mangelhafte Ladeinfrastruktur bei begrenzter Reichweite den Spaß am Fahren und gebotener Leistung. Mal besser auf die nächste Akku-Generation und mehr Ladepunkte warten, lautet sein zwiegespaltenes Fazit.

Die E-Motoren an Vorder- und Hinterachse stammen vom Topmodell Taycan Turbo, liefern beim GTS jedoch weniger Leistung. Beim Anfahren, Beschleunigen und Bremsen sind stets beide Motoren aktiv, beim Fahren auf gerader Strecke ohne Lenkeinschlag wird zum Energiesparen der vordere Motor abgekoppelt. Das spart Energie.

Genau dort, auf Autobahn und Landstraße, spielt die Sportlimousine auf hohem Niveau. Handling, Straßenlage, Komfort, das alles ist Premium. Herstellungsleiter Thomas Kapteina zeigt sich tief beeindruckt, für ihn bedeutet der Taycan Erstkontakt mit der Elektromobilität. Die Fahrleistungen, vor allem das von Drehzahlen unabhängige Beschleunigen, schlagen ihn in den Bann. Von 0 auf 100 km/h in weniger als 3 Sekunden, ohne jedes Geräusch! Die zum Teil komplexe Bedienung mit zahlreichen Untermenüs über Touchscreens und zu wenigen klar in der Nutzung definierten Schaltern bewertet Kapteina kritisch, weil den Fahrer ablenkend. Ein Eindruck, den andere Fahrer im Haus bestätigen.

Da scheint das optionale, über dem Handschuhfach direkt vor dem Beifahrer platzierte Display, über das Fahrzeugfunktionen kontrolliert und gesteuert sowie Medien bedient werden können (1023,40 Euro), plötzlich wie eine sinnvolle Ergänzung. Dass einklappbare Außenspiegel in dieser Fahrzeugklasse und bei einem Basispreis von rund 132.000 Euro mit 297,50 Euro extra bezahlt werden müssen, ist hingegen nur popelig.

© Porsche AG

Unisono gelobt wird der für einen Porsche überraschend hohe Komfort und die nahezu geräuschlose Fortbewegung. Die Idee, über das Electric Sport Sound-Feature ein künstlich erzeugtes Motorengeräusch zu simulieren, wird hingegen als obsolet abgetan. Assistenzsysteme gibt es reichlich, aber dass der Taycan mehrfach zum mittigen Fahren trotz schmaler Landstraße im Hintertaunus auffordert und dabei in die Lieder der Spotify-Playlist quatscht, wird von mitreisenden Teenagern im Fond als lästig empfunden. Zum technischen Overkill entwickelt sich beinahe die elektrische Steuerung der Ladeklappen.

Seit dem ersten Aufladen hängt die Klappe auf der Fahrerseite auf halber Höhe fest. Ist diese nicht ganz geschlossen, so lässt sich der umfangreichen Bedienungsanleitung entnehmen, wird die andere automatisch blockiert. Im schlimmsten Fall ließe sich der Taycan wegen einer solchen Lappalie also nicht mehr laden. Groß ist die Erleichterung, als die Klappe nach einigen Stunden wieder schließt. Wieso, weshalb sie hing? Egal. Glück gehabt!

Kurz vor Übergabe an PORSCHE FAHRER-Projektleiter Steffen Wagner fällt das Laden ganz aus. Am Auto liegt es nicht! Die beiden nächst gelegenen, zu Fuß rund 20 Minuten entfernt gelegenen Ladesäulen in der Frankfurter Innenstadt sind zugeparkt, bzw. nicht teilt das System des Anbieters mit, diese seien falsch, bzw. die Säulen nicht existent (!) und rät zum Weiterfahren an einen anderen Standort. Dank 9-Euro-Ticket wäre zumindest die Ab- und Anreise zum Ladepunkt per U-Bahn hier ein Leichtes gewesen. Schade!

Die vom intelligenten Navigationssystem vorgeschlagene Ladestation in der erweiterten Nachbarschaft akzeptiert leider die beiliegende Porsche-Ladekarte nicht, liefert aber keine Erklärung dafür. Eine Erfahrung, die auch Technik-Lektor Jürgen Schlegelmilch eine Woche später macht. Ohne Angabe von Gründen wird die Karte abgelehnt. Rund 25 Kilometer muss der Kollege fahren, um auf dem Parkplatz eines Discounters eine kooperierende Ladesäule zu finden.

Völlig problemlos funktioniert gelingt das Laden an 800 Volt-Säulen des Anbieters Ionity, wo mit bis zu 270 kW Gleichstrom geladen werden kann. Erfahrene Porsche-Kollegen raten zu einer Lade-Planung mit Ionity-Infrastruktur und empfehlen, je nach Route, bessere mehrere kurze Stopps zu machen, als am Ende heraus in Bedrängnis zu geraten. In fast allen Fällen ließe sich der Taycan in rund 20 Minuten von 5 auf 80 Prozent aufladen.

Plug & Charge vereinfacht den Vorgang an den Ionity-Ladepunkten: Sobald das Ladekabel eingesteckt ist, wird geladen. Eine Karte oder eine App sind nicht mehr nötig, die Authentifizierungsdaten sind im Fahrzeug selbst hinterlegt. Auch das Bezahlen erfolgt automatisch. Allerdings ist die nächste Ionity-Säule rund 25 km von Frankfurt-Innenstadt entfernt, liegt an der A3 Richtung Süddeutschland. Und wer will schon 50 km hin und zurück zum Tanken fahren?

Nach eineinhalb Stunden wird das erfolglose Lade-Experiment in Frankfurt beendet, mehr als eine Wagenwäsche ist vor der Übergabe nicht mehr drin. Enttäuschend! Wie viele 911 hätten sich in 90 Minuten wohl volltanken lassen?

Fahrbericht Porsche Taycan GTS
© Porsche AG

FAZIT

Der Taycan ist ein faszinierendes Stück Technik. Qualität und Machart sind über jeden Zweifel erhaben, gleiches gilt für die Fahrleistungen. Beschleunigung und Höchstgeschwindigkeit genügen Porsche-Ansprüchen, gleichzeitig fordert der Taycan von seinen Fahrern/Usern ein Umdenken und eine hohe Technik-Affinität. Dass die über Jahre angeeigneten, intuitiven Abläufe bei der Bedienung mitunter darunter leiden, erschwert den alltäglichen Umgang; wer nicht jeden Tag damit unterwegs ist, wird weder alle Funktionen kennenlernen noch die Ausstattung in Gänze erfassen. Die Hauptprobleme bleiben Reichweite und mangelhafte Infrastruktur. Wenn in einer Großstadt samt Mehr-Millionen-Menschen-Ballungsraum die nächste leistungsstarke, unkompliziert zu handhabende Ladesäule 25 Kilometer entfernt ist, kann von einer normalen Nutzung keine Rede sein. Dafür kann der Taycan nichts, bleibt einem vergleichbaren Panamera aber trotzdem unterlegen.


Dieser Fahrbericht erschien in PORSCHE FAHRER-Ausgabe 6-2022. Die Langstrecken-Erfahrung von Projektleiter Steffen Wagner im Taycan GTS können Sie ebenfalls dort nachlesen.

Den Bericht zum Taycan Turbo Cross Turismo finden Sie hier.

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