In Europa genießt der klassische Porsche 911 einen sehr hohen Stellenwert. Was zählt, ist das unverfälschte Original, ansonstenwird an kritischen Kommentaren nicht gespart. Es ist auch eine Frage der Anerkennung und des Respekts gegenüber diesen altehrwürdigen Fahrzeugen. In Großbritannien, Deutschland, den USA oder Australien ist in den letzten Jahren jedoch auch der 911 von einem neuen Trend betroffen, der eine völlig andere Sichtweise hat.
Der Begriff „Restomod“ und die darauf basierende Vorgehensweise setzt sich zusammen aus den Wörtern „Restoring“ und „Modification“. „Backdate“-Typen sind Elfer, unter deren rückdatiertem Äußeren eine modernere Technik steckt. Der Ausgangspunkt ist dabei immer identisch: Ein luftgekühlter 911 wird neu erfunden. Die Firmen, die sich in dieser Nische tummeln, sind gut organisiert, betreiben mitunter aufwendige Entwicklungsarbeit und erweitern ihr Angebot permanent.
2018 war ein bedeutendes Jahr für Singer, ein vom englischen Musiker Rob Dickinson in Los Angeles gegründetes Unternehmen: Singer feierte das 10-jährige Firmenjubiläum, lieferte den 100sten Wagen aus und präsentierte den DLS (Dynamics and Lightweighting Study), das Ergebnis einer fast dreijährigen Arbeit.
Singer beschäftigt sich nur mit dem Modell 964. Dabei werden nicht nur Umbauten nach Schema F durchgeführt, sondern man setzt sich auch intensiv mit jedem einzelnen Bauteil auseinander. Die Optik stammt aus den siebziger Jahren, die Mechanik unter der Karosserie ist jedoch komplett überarbeitet. Ein Singer hat mit einem 964 gerade noch das Lüfterrad gemeinsam.
Das DLS-Projekt startete 2017 und geht auf einen Kunden zurück, der seinen 964 von 1990 restauriert und modernisiert haben wollte. Das Vorhaben nahm gegenüber den „normalen“ Singer-Wagen eine neue und völlig andere Richtung auf, denn man involvierte Williams Advanced Engineering (ein Unternehmen der Williams Grand Prix Engineering Group).
Unter der Leitung von Hans Mezger erfährt der M64-Motor eine umfassende Überarbeitung: Der Hubraum erhält eine Vergrößerung auf 4,0 Liter, dazu kommen neue DOHC-Zylinderköpfe mit jeweils vier Titanventilen pro Zylinder. Trotz des höheren Bauaufwands kann das Gewicht des Motors durch die Verwendung von Magnesium niedrig gehalten werden, auch das Gehäuse des Sechsganggetriebes besteht aus Magnesium. Singer gibt eine Leistung von 500 PS bei 9000/min an.
Das Chassis wird ebenfalls gründlich überarbeitet, erleichtert und gleichzeitig verstärkt. Zur besseren Gewichtsverteilung wird die Antriebseinheit nach vorn in Richtung Fahrzeugmitte verschoben, das Fahrwerk erleichtert und mit Einstellmöglichkeiten versehen. Die Karosserieaußenhaut besteht aus Kohlefaser. Der Preis liegt bei rund 1,8 Millionen Dollar. Singer war schon immer sehr speziell.
Das Leben von Paul Stephens dreht sich um das Restaurieren und Verkaufenvon 911. 2004 gründete er AutoArt, ein Unternehmen, das sich auf die Restaurierung, Überarbeitung und Individualisierung luftgekühlter Porsche-Modelle spezialisiert hat, angefangen vom Carrera 3,2 über den 964 bis hin zum 993. Das jüngste Modell, der Le Mans Classic Clubsport, wurde passenderweise bei der letzten gleichnamigen Veranstaltung präsentiert. Für 250.000 Britische Pfund, den Preis eines 991 GT2 RS, erhält man eine Hommage des legendären Carrera RS 2,7.
Als Basis dient entweder ein 911-Chassis aus den achtziger Jahren oder das eines 964, das überarbeitet und modernisiert wird. Der Hubraum des Motors wird mit größeren Kolben auf 3,4 Liter erhöht, eine erleichterte und gleichzeitig verstärkte Kurbelwelle eingebaut und das Motormanagement neu abgestimmt. Das Getriebe auf G50-Basis erhält einen 6. Gang. Laut Paul liegt das Gewicht des Le Mans Classic Clubsport in der Touring-Version bei 1057 kg, in der Lightweight-Ausführung (mit deutlich gestripptem Innenraum) bei nur 970 kg. Die Fahrleistungen liegen auf dem Niveau eines 991 der zweiten Serie: Beschleunigung von 0 auf 100 km/h in 4,4 Sekunden, Höchstgeschwindigkeit 282 km/h. Nur zehn Exemplare sollen gebaut werden.
Die Restomod-Welle hat auch einen italienischen Restaurator erfasst, Corato Alonso in Vicenza. Sein Projekt ist von den hier behandelten sicherlich das gemäßigtste, da sein Restomod-911 die praktisch unveränderte Mechanik eines 964 Carrera von 1990 unter der Außenhaut verbirgt. Die Karosserie wird dagegen dem Aussehen eines 911 aus den siebziger Jahren angepasst: Hauben, Stoßstangen, 17-Zoll-Räder in entsprechendem Design und verchromte Fensterrahmen gleichen dem Vorbild F-Modell.
Bruce Canepa ist Porsche schon lange verbunden. 1978 nahm er mit einem 934 am 24-h-Rennen von Daytona teil und belegte Platz 3 in der Gesamtwertung. Im Folgejahr trat er in Florida mit einem 935 an und 1980 fuhr er mit dem gleichen Wagen in Daytona, Mid Ohio und Riverside. 1981 wurde er mit einem selbst gebauten Porsche mit Doppelturboaufladung Zweiter beim Pikes Peak Hillclimb. 1982 begann er mit dem Handel (Bruce Canepa Motorcars) und dem Aufbau bzw. der Restaurierung (Bruce Canepa Design) von Autos. Erstes großes Projekt: ein 911 Speedster Turbolook mit einem 700 PS starken Doppelturbomotor des 962. Heute entsteht bei Canepa der 959 SC (Sport Canepa). In seiner Werkstatt in Scotts Valley, Kalifornien wird ein angelieferter 959 zerlegt, neu aufgebaut und aufgerüstet: Die Register-Turboaufladung von KKK wird durch zwei herkömmlich arbeitende Borg-Warner-Turbinen ersetzt, das Kraftstoff- und Zündsystem neu abgestimmt. Unterm Strich steigt die Leistung von 450 PS auf über 760 PS. Die Radaufhängungen des Serien-959-S werden übernommen und angepasst (die elektronisch einstellbaren Stoßdämpfer entfallen allerdings). Canepa stellt für den 959-Umbau 750.000 Dollar in Rechnung – bei angeliefertem Auto.
Adam Hawley gründete Theon Design im November 2017. Nach eineinhalb Jahren Bauzeit wurden die ersten Ergebnisse vorgestellt. Als Basis dient der 964; der Motor bleibt entweder im Ursprungszustand oder der Hubraum wird auf 4,0 Liter vergrößert. Dazu wird ein überarbeitetes und steiferes Kurbelgehäuse verwendet (derzeit laufen Versuche mit einem GT3-Kurbelgehäuse). Auch ein Motorsteuergerät mit auswählbaren unterschiedlichen Kennfeldern ist im Angebot. Auf diese Weise erhält man einen Restomod-911 für die Straße und Rennstrecke zugleich, mit 1000 kg Gewicht und 400 PS. Die Karosserie kann aus traditionellem Stahlblech oder Kohlefaser gefertigt werden. Der Einstandspreis liegt bei 165.000 Britischen Pfund, der Endpreis resultiert aus den individuellen Wünschen des Käufers.
Roger Kaege gesteht, dass er immer die Singer 911 bewundert hat. Seine Interpretation eines Restomod-911 nimmt sich das klassische F-Modell als Vorbild, hat aber deutlich verbreiterte Radhäuser. Unter der Karosserie steckt, im Gegensatz zu den Produkten vieler anderer Anbieter, 993-Technik. Das selbst erklärte Ziel: den besten „modernen alten“ 911 zu bauen. Um die Kosten gering zu halten, werden möglichst viele ursprüngliche Komponenten übernommen. Große Teile der Karosserie bestehen aus Kohlefaser, das Gewicht liegt unter 1200 kg, die Leistung über 300 PS.
K-Tec Autohaus ist im westaustralischen Perth ansässig und war anfänglich eine kleine Werkstatt für Wartungsarbeiten an Porsche-Fahrzeugen. Nach einem Besitzerwechsel legten die neuen Eigentümer den Betriebsschwerpunkt auf Restaurierungen und den Rennsport. Schließlich begannen sie, sich eingehend mit dem Umbau und Tuning sowie der Weiterentwicklung der klassischen 911 zu beschäftigen. Als Basis können ein 911 von 1968, ein 911 L von 1971, ein SC oder auch ein 964 dienen. K-Tec erhöht den Hubraum auf 3,6 oder 3,8 Liter und arbeitet dabei mit verschiedenen Kurbelwellen und entsprechend angepassten Verdichtungsverhältnissen. Je nach Modell kommen andere Vergaser oder eine neue Motec-Motorsteuerung zum Einsatz. Daraus resultieren bis zu 400 PS und dank eines Gewichts unter 1000 kg eine Beschleunigung von 0 auf 100 km/h in etwa 4,5 Sekunden. Der Preis liegt bei circa 190.000 Euro.
Aus purer Leidenschaft gründete Detlef Schmuda gemeinsam mit seinem Sohn RSVT. Die 911 von RSVT erinnern an den RSR oder einen 911 S bzw. T: gleiches Design, aber weit ausgestellte Radhäuser aus Kohlefaser, keine Spoiler oder sonstige Rennapplikationen. Als Ausgangspunkt dient meist ein modifizierter 964-Motor mit 3,8 Litern Hubraum. Das Verdichtungsverhältnis ist angepasst, das Kurbelgehäuse verstärkt, die Kupplung erleichtert, das Kraftstoffsystem und die Zündung entsprechend modifiziert, dazu kommt noch ein samt Differenzial überarbeitetes G50-Getriebe. Die Leistung wird mit über 300 PS angegeben. Dabei greift man auf Komponenten des 993 GT2 oder 964 RSR zurück; falls nicht verfügbar, können diese aufgrund eines guten Netzwerks an Zulieferern nachgefertigt werden. Das Fahrzeuggewicht liegt bei etwa 1100 kg, der Preis bei über 200.000 Euro.
1973 gegründet, hat sich DP Motorsport einen ausgezeichneten Ruf als Hersteller von Rennsportteilen für Porsche erarbeitet. In den achtziger Jahren übernahm das Unternehmen dank einiger äußerst bemerkenswerter Kreationen eine Führungsrolle in der Tuning-Szene. Dazu gehörten eine Straßenversion des 935 und ein zulassungstauglicher 962. Heute reicht das Angebot von der Restaurierung klassischer Porsche bis zum Aufbau von Restomods mit selbst gefertigten Karosserieteilen. Diese Wagen sind so konzipiert, dass sie irgendwo zwischen einer kompromisslosen Restaurierung und einem umfassenden Tuning „Made in Germany“ liegen. DP Motorsport zerlegt, überarbeitet und baut wieder zusammen: Ein Carrera 3,2 wird so zu einem Speedster mit einer Karosserie aus den frühen Siebzigern, ein 964 Carrera RS mutiert zu einem klassischen 911 mit einem 330 PS starken 3,8-Liter-Motor oder ein 964 Turbo erhält die Optik eines 935.
DP Motorsport verändert nicht nur völlig das Aussehen eines Autos, sondern erhöht auch die Leistung und verbessert die Fahreigenschaften. Die Preise variieren zwischen 140.000 und 220.000 Euro.
Diese Firma befindet sich in Manchester und wurde von Colin Belton und Marc Clowes gegründet. Von allen Restomod-Veredlern weisen sie wohl die größte Affinität zu Porsche auf. Zum Angebot gehören unter anderem die klassische Restaurierung eines 911 jeglichen Baujahres sowie ein Leistungskit für den 964 und 993 (Kostenpunkt ca. 15.000 Euro). Im Fall des 993 Carrera oder Carrera RS 3,8 verwendet 9Meister überarbeitete und optimierte Zylinderköpfe. Damit erhält der Boxermotor eine Leistungsspritze von über 80 PS (die Maximalleistung kann bis zu 410 PS betragen). Im Fall des 964 können sogar bis zu 500 PS erreicht werden. 9Meister lässt auf Wunsch auch besondere Modelle wie 964 Carrera RS (9M64 RS oder RSR), den 993 Carrera RS (9M93 RS) oder den 993 Speedster (9M93 Speedster S) auferstehen. Sie entsprechen völlig dem Original, es sei denn, der Kunde äußert Sonderwünsche. An der Spitze des Fahrzeugangebots stehen der 9M64 ST, ein stark modifizierter 964, der wie der einstige Seriensportwagen 911 ST aussieht, oder der 9M35 K3. Sogar vor dem 968 macht die Umbauwut nicht halt, was in der Szene die große Ausnahme ist.
Ein möglichst deutsch klingender Name für ein Unternehmen oder eine Veranstaltung gehört in der klassischen Porsche-Szene der USA heute zum guten Ton. Gunther Werks aus Kalifornien widmet sich der Optimierung des 993. Der Carrera wird bis auf das nackte Chassis gestrippt, das anschließend überarbeitet und verbessert sowie mit einem Überrollkäfig ausgerüstet wird. Auch der 3,6-Liter-Motor wird komplett zerlegt, überholt und mit neuen Komponenten zusammengebaut. Dabei erhöht sich der Hubraum auf 4,0 Liter, die Motorsteuerung übernimmt ein Motec-System. Als Leistungsdaten werden 400 PS und 440 Nm Drehmoment angegeben. Neu ist das G50-Getriebe mit sechs Gängen, dessen Übersetzungen entsprechend angepasst sind. Auch die Aufhängung wird überarbeitet: Neben einstellbaren Komponenten ist auch ein Liftsystem an der Vorderachse vorhanden, um das Überfahren von Hindernissen zu erleichtern. Die Bremsen sind ebenfalls modifiziert und mit größeren Bremsscheiben versehen.
Als Werkstoff für die Karosserieteile greift Gunther Werks auf Kohlefaser zurück; beim Design orientiert man sich am GT2. Dabei wird es dem Kunden überlassen, ob er als Heckspoiler den zierlichen Entenbürzel oder eine optimierte Ausführung des 993-GT2-Flügels haben möchte. Der Innenraum kann vollständig dem Kundengeschmack angepasst werden, das Leistungsgewicht liegt bei 3,52 PS/kg.
Die schillerndste Marke unter den Restomod-Anbietern geht auf den Japaner Akira Nakai zurück. Früher fuhr er leidenschaftlich Driftrennen und widmete sich schließlich in Japan dem Tuning. Ende der neunziger Jahre kaufte er einen verunfallten 911 Turbo und baute ihn um. Damit begannen seine Aktivitäten in der Restomod-Nische. RWB ist heute weltbekannt und hat Niederlassungen in fünf Kontinenten (die europäische Zweigstelle befindet sich in Holland). Pro Monat entstehen drei bis vier Exemplare.
Akira Nakai leitet und überwacht jeden Umbau in den verschiedenen Werkstätten höchstpersönlich. Die dazu benötigten Teile werden von Zulieferern hergestellt und in die jeweiligen Länder geliefert. Er reist mit seinem Werkzeugkasten hinterher und schneidet, kürzt, verlängert, feilt, klebt und schraubt. Seine RWB-911 haben einen sehr eigenen Charakter und ein extremes Aussehen. Akira nennt keine Gründe: Er sagt dazu, dass er nur das macht, was ihm gefällt.
Die RWB sehen aus, als wären sie startklar für ein 24-h-Rennen: ausladende Flügel und Spoiler, Radhäuser außerhalb jeder Logik, Felgen mit einer tunnelähnlichen Einpresstiefe, Seitenschürzen mit geringerem Abstand zum Boden als in der Formel 1. Natürlich umfasst der Umbau auch die Anpassung der Technik: Fahrwerk, Getriebe, Motor (zwei Turbolader lassen die Leistung auf 650 PS ansteigen). Auch der Innenraum bleibt nicht unangetastet, wird mit Leder, Holzapplikationen und/oder Kohlefaser aufgerüstet und erhält einen Überrollkäfig, ein Sound-System usw.
Das Resultat ist, vorsichtig ausgedrückt, außergewöhnlich und jedes Auto ein Einzelstück. RWB arbeitet mit den Modellen 911, 964 und 993. Für eine kosmetische Aufrüstung muss der Kunde mit 55.000 Euro rechnen, wobei das mehr als Ausgangspunkt gesehen werden kann.
Dieses von Paul Cockell gegründete Unternehmen beschäftigt sich mit den 911 der siebziger Jahre, den SC und Carrera 3,2 bis zum 964. Die Fahrzeuge werden restauriert oder zu einer authentischen Kopie umgebaut (die Kunden fragen in erster Linie nach einem Carrera RS 2,7). Damit besteht die Möglichkeit, jeden Tag einen alten 911 zu fahren, der technisch auf einem neueren Stand ist. Ernsthafte Liebhaber alter Autos werden aufstöhnen bei dem Gedanken, dass ein schöner originaler SC oder Carrera zu einem zweifelhaften RS mutiert. Das Argument dafür ist, dass man für 80.000 bis 100.000 Britische Pfund ein Rennsport-RS-Imitat für den Alltagsbetrieb hat und im Idealfall das kostbare Original in der Garage stehen lassen kann!