Kann der 911 Dakar vor einer Rallye-Legende bestehen?

Walter Röhrl im Interview

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Seit 1993 ist der zweifache Rallye-Weltmeister Walter Röhrl bei Porsche unter Vertrag, zunächst als Test- und Entwicklungsfahrer, heute als Markenbotschafter. Der 75-Jährige spricht über den Fahrmodus „Rallye“, die Vorzüge des Allradantriebs und die Haltung seiner Frau zum neuen 911 Dakar.
Walter Röhrl Zell am See 2023
© Porsche AG

Sie werden 2023 genau 30 Jahre bei Porsche sein. Ist ein hochgelegter Elfer mit Offroadfähigkeiten das Verrückteste, was sich die Entwickler jemals ausgedacht haben?

Walter Röhrl: Ja, neben dem Cayenne (lacht). Damals habe ich gedacht, die spinnen! Aber man sieht ja heute, was das für eine intelligente Entscheidung war. So wird es beim 911 Dakar auch sein. Ich bin nur etwas verwundert, dass er jetzt erst kommt.

Wie das?

Röhrl: Weil ich den ersten Prototyp schon vor mindestens acht Jahren gefahren bin, in Weissach auf dem Geländekurs. Als Rallyefahrer war ich begeistert, denn das war natürlich ein Porsche-Sportwagen, den man auch auf losem Untergrund richtig bewegen konnte.

Das muss der 911 Vision Safari von 2012 gewesen sein, eine Studie.

Röhrl: Genau, mit Allradantrieb und Saugmotor, der Wagen war auf dem Stand des 911 Carrera 4S.

Porsche 911 Vision Safari
© Porsche AG

Und Ihre erste Begegnung mit dem 911 Dakar?

Röhrl: Das war beim Wintertest Anfang 2022 in Schweden.

Haben Sie dort auch den neuen Fahrmodus „Rallye“ probiert? Und kann der vor einem zweifachen Weltmeister bestehen?

Röhrl: Im Prinzip schon. Denn erst mal wird der Allradantrieb im „Rallye“-Modus hecklastiger. So bekomme ich kein Untersteuern, sondern kann das Auto in einem leichten Drift halten. Und zweitens: Wenn man Gas wegnimmt, entsteht an der Hinterachse eine verhältnismäßig starke Motorbremswirkung. Damit dreht das Auto schon leicht in die Kurve ein, was dem ungeübten Fahrer eine große Hilfe ist, wenn der auch mal quer fahren will. Mit diesem System ist das spielend einfach und macht richtig Spaß. Besonders auf losem Untergrund.

Ein schönes Bonmot von Ihnen ist: „Ich fahre lieber vorwärts als seitwärts.“ Trotzdem gehört das Driften um Kurven zum Standardrepertoire eines Rallyefahrers. Warum?

Röhrl: Wenn Sie auf losem Untergrund darauf zählen, dass die Reifen Seitenkraft aufbauen und Sie damit schnell ums Eck fahren können, unterliegen Sie einem Irrtum. Darum ist es bei der Rallye auf Schotter, Schnee oder Sand gut, dass ich das Auto am Kurveneingang schon ein bisschen quer habe. Dass die Schnauze dorthin schaut, wo ich hinwill. Dann kann ich nach dem Scheitelpunkt die volle Kraft nutzen und die Fliehkraft, durch die das Auto normalerweise seitwärts wegrutschen würde, in Vorwärtsbewegung umsetzen.

Das ist ja wie in der Physikstunde. Lernen die Ingenieure auch noch von Ihnen?

Röhrl: Vor zwei Jahren habe ich das regelmäßige Testen aufgegeben, bin also nicht mehr bei jedem Auto dabei. Die haben bei Porsche auch genug gute junge Leute, die das machen können. Neben dem Projekt 911 Dakar bin ich nur noch bei den GT-Fahrzeugen involviert, den neuen 911 GT3 RS bin ich vor drei, vier Monaten gefahren. Aber ganz ehrlich: Die Autos sind in einem so perfekten Zustand, da kann ich nur noch bestätigen, dass das gut ist, was sie gemacht haben. Und in der Baustufe, in der ich jetzt ins Auto komme, hat man sicher alle Fehler schon beseitigt.

Es gibt Videoaufnahmen, die Sie in Schweden beim Testfahren zeigen. Trotz schneller Fahrt bewegen Sie das Lenkrad ruhig, geradezu sparsam. Warum machen Sie das so?

Röhrl: Schieben Sie mal ein Auto und drehen dann das Lenkrad nur zehn Zentimeter in eine Richtung: Sofort bringen Sie das Auto nicht mehr voran. Der Fahrwiderstand steigt, wenn man lenkt. Das erhöht den Reifenverschleiß, den Benzinverbrauch – schon aus ökonomischen Gründen darf man also nicht so viel lenken. Und schneller wirst du auch nicht, wenn du viel lenkst, das weiß man ja von der Skifahrerei: Der Ski, der seitwärts rutscht, den kannst du vergessen. Der Ski muss vorneweg fahren, der muss ziehen.

Prototyp des 911 Dakar
© Porsche AG

Und beim Auto ist das genauso?

Röhrl: Ich habe im Auto immer darum gekämpft, dass die Kraft nicht seitwärts verpufft, denn es muss doch nach vorne gehen. Wenn es nur ein Geheimnis beim Autofahren gibt, dann ist es, so wenig wie möglich zu lenken. Es geht um Linien, und man muss begreifen, wann man zu lenken beginnen muss – eher früh als spät. Es ist ein großer Teil meines Erfolgs gewesen, dass ich das Gefühl hatte, man kommt mit wenig lenken auch zurecht.

Der Porsche 911 ist in vielerlei Hinsicht ein Klassiker – ein wichtiger Faktor ist sein technisches Prinzip mit Heckmotor und Hinterradantrieb. Heute werden jedoch viele Elfer mit Allradantrieb verkauft. Passt das für Sie?

Röhrl: Ja. Weil durch den Einzug der Turbomotoren ganz andere Leistungen möglich geworden sind. Und da gibt es dem normalen Autofahrer einen Sicherheitsvorteil, wenn er Allrad fährt. Beim rein heckgetriebenen Elfer musste man früher aufpassen, dass man keine zu gute Lenkfähigkeit konstruiert, sonst wäre der wegen des Grips an der Vorderachse hinten sofort weggegangen. Denn wenn beim Fahren irgendetwas schiefgeht, will der Schwerpunkt der Fliehkraft hinterher, da gibt es keine Diskussionen. Darum hat man früher den Elfer eher untersteuernd abgestimmt. Das muss man beim Allrad nicht und kann an die physikalische Grenze gehen, da ist die Gefahr viel geringer, dass das Heck kommt. Ich finde das gut.

Man merkt: Sie wissen, wovon Sie sprechen.

Röhrl: Ich glaube auch, dass ich da einen Anteil habe. Als der 993 Turbo entwickelt wurde, sollte der erst nur mit Heckantrieb kommen. Ich sagte: Leute, ihr seid verrückt. Das Auto muss Allrad kriegen. Wenn man ein Auto macht für einen normalen Menschen, dann muss das gutmütig sein. Und bei der Leistung, die ein Porsche Turbo hat, muss Allradantrieb einfach sein.

Ein GT3 hat auch ziemlich viel Leistung.

Röhrl: Stimmt. Aber die GT-Fahrzeuge sind für Sportfahrer, die auch auf die Rundstrecke gehen. Die wissen, was sie wollen, da ist das mit dem Heckantrieb schon in Ordnung. Aber ein Auto, das jeden Tag gefahren wird, sollte bei starker Motorisierung immer einen Allradantrieb haben.

Sie haben ja einen einzigen WM-Lauf auch mit dem Elfer absolviert, damals noch ohne Allrad.

Röhrl: Das war 1981 bei der Rallye San Remo – mit dem letzten Elfer, der richtig für Weltmeisterschaftsläufe gebaut wurde. Da habe ich noch die Hoffnung gehegt, dass ich Porsche überzeugen kann, die Rallye-WM komplett zu fahren.

Obwohl Audi schon den starken Quattro gebracht hatte?

Röhrl: Ja, 1981 war zwar das erste Jahr, in dem Audi mit dem Allrad kam, aber trotzdem hatte der Heckmotor ja gegen alle anderen im Rallyesport verwendeten Autos den großen Vorteil der besseren Traktion. So war’s auch bei der San Remo, die abwechselnd auf Asphalt und Schotter gefahren wurde. Am ersten Tag auf Asphalt habe ich alles gewonnen, dann sind wir auf Schotter um gut zwei Minuten gegenüber Audi zurückgefallen. Aber das hätten wir in der letzten Nacht auf Asphalt locker wieder gutgemacht.

911 Dakar Porsche Winter-Event, Zell am See
© Porsche AG

Hätten?

Röhrl: Die Antriebswelle ist abgerissen. Vier-, fünfmal ist mir das in meiner Laufbahn passiert, dass ich im Porsche mit gerissener Antriebswelle ausgefallen bin. Das war auch ein bisschen meinem Fahrstil geschuldet.

Das müssen Sie erklären.

Röhrl: Durch die sehr gute Traktion ist die Belastung für die Antriebswelle sehr hoch. Gerade wenn ich so fahre, dass das Auto möglichst immer Grip hat und hinten nicht wegrutscht. Die Antriebswelle muss dann gleichzeitig viel Seitenkraft und viel Antriebskraft aufnehmen. Das macht das Auto schnell, birgt aber auch das Ausfallrisiko. Den anderen, die überall quer gefahren sind, ist nichts passiert.

Also hätten Sie auch damals schon gut Allradantrieb brauchen können im Porsche.

Röhrl: Ja, so ist es.

Diese Technik kam 1984 zum ersten Mal in den Elfer, und gleich siegte er bei der Rallye Paris-Dakar – woran uns ja der neue 911 Dakar erinnert. Wie kommt es eigentlich, dass Sie als einer der größten Rallyefahrer aller Zeiten bei dieser großen Rallye nie mitgemacht haben?

Röhrl: Weil ich das eher als Abenteuer sehe mit großem Unsicherheitsfaktor – das ist nichts für mich.

Die können aber schon was, die da mitfahren.

Röhrl: Ja. Aber sie fahren doch die Düne hoch, kommen auf den Kamm und wissen nicht, geht es dahinter 30 Zentimeter runter oder acht Meter. Ich hätte das nie in meinem Leben gemacht. In den 1990er-Jahren hatte ich mal ein Angebot, da hätte ich für eine Paris-Dakar so viel Geld bekommen wie für eine komplette WM-Saison. Ich habe gesagt, da könnt ihr das Zehnfache zahlen, da fahre ich nicht.

Zu Ihrer Zeit gab es eine andere Rallye, die der Paris-Dakar etwas ähnelte.

Röhrl: Die East African Safari in Kenia. Professor Bott, Porsche-Entwicklungsvorstand damals, wollte mich immer überzeugen, dass ich die Safarirallye mit dem Elfer mache. Ich war zwar schon damals ein großer Porsche-Fan, aber den Wunsch konnte ich ihm nicht erfüllen.

Weil die Rallye so lang war, 5.000 Kilometer?

Röhrl: Und weil sie wie die Dakar solche Unwägbarkeiten hatte wie Schlammloch- oder Flussdurchfahrten. Das ist nichts für mich.

Sie sind mehr für Sonderprüfungen, die man zusammen mit dem Beifahrer studiert und dann nach Gebetbuch fährt.

Röhrl: Genau, natürlich so schnell es geht, aber nicht mit Vollgas durch große Löcher. Das kann ich nicht. Wenn ein Loch kommt, nehme ich Gas weg, hebe den Hintern im Sitz und sage: armes Auto.

Hand aufs Herz: Sehen wir demnächst die Rallye-Legende Walter Röhrl in einem privaten 911 Dakar? Das ist doch genau Ihre Kragenweite, oder?

Röhrl: Meine Frau hat schon ganz am Anfang gesagt: Kauf so ein Auto, die sind doch viel angenehmer zum Aus- und Einsteigen. Meine Frau ist 73, ich werde 76, da ist die größere Höhe schon ein wichtiger Faktor. Aber wenn es nach mir geht, werde ich auch mit 80 noch rauskraxeln aus einem Porsche. Hauptsache, ich kann fahren damit.

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