KultautosKlassiker der 90er Jahre
Das Jahrzehnt der Supermodels, Techno oder Grunge, Eurodance und natürlich jede Menge Mainstream, weite Jeans, Love Parade und vieles mehr – DAS waren die 90er.
Der Urknall des berühmtesten Langstreckenrennens der Welt findet sogar noch früher statt, jedoch unter anderem Titel: Der erste Große Preis von Frankreich geht im Juni 1906 über ein Wochenende und 1236 Kilometer. Organisiert wird der Grand Prix vom Vorgänger des französischen Automobil Club de L´Ouest in der Nähe des Ortes Le Mans; der Dreieckskurs des Circuit de la Sarthe misst 103 Kilometer. Zweimal sechs Runden, verteilt auf Samstag und Sonntag, sind auf der staubigen, nicht asphaltierten Rennstrecke zu absolvieren, als erster Sieger geht Ferenc Szisz auf Renault AK in die Geschichte ein.
Der Nutzung öffentlicher Landstraßen bleiben die Veranstalter auch treu, als 1923 das erste Rennen über 24 Stunden gefahren wird. Das Team Lagache/Leonard auf Chenard-Walcker trägt den Sieg davon, erst rund 60 Jahre später sollte ein dritter Fahrer im Team dazu kommen.
Die Idee der Ausdauer-Prüfung ist simpel: Die teilnehmenden Firmen wollen und sollen die Haltbarkeit ihrer Produkte beweisen. Anfangs dürfen nur Fahrer und Beifahrer Reparaturen mit dem im Wagen befindlichen Bordwerkzeug vornehmen. 1925 wird jener Start eingeführt, der bis heute – wenn auch seit 1970 nicht mehr praktiziert – den Namen „Le-Mans- Start“ trägt. Die Teilnehmer sitzen dabei nicht in ihrem Fahrzeug, sondern rennen, nachdem der Startschuss gefallen ist, zum Auto, starten und jagen davon. 1970, ein Jahr nachdem Jacky Ickx mit gemütlichem Schlendern gegen die gefährliche Startprozedur protestiert hat und Sicherheitsgurte ein Muss geworden sind, starten die Fahrer zum ersten Mal im Fahrzeug sitzend mit stehendem Motor. Seit 1971 beginnt das Rennen mit einem fliegenden Start im Anschluss an eine Einführungsrunde.
Die heute in ihrer endgültigen Ausformung 13,8 Kilometer lange Strecke mit ihrer fast 5 Kilometer langen Geraden „Hunaudières“ – wo die Fahrzeuge zeitweilig eine Höchstgeschwindigkeit um die 400 km/h erreichen – sieht gleichermaßen Triumph und Tragik. Die Jahre 1927 bis 1930 gehören den „Bentley Boys“, jenen wohlhabenden Herrenfahrern auf ihren mächtigen Bentley, die das Prinzip der Haltbarkeit konsequent verfolgen. Ettore Bugattis Bonmot, dass Konstrukteur W.O. Bentley die schnellsten Lastwagen der Welt baue, verbindet Ehrfurcht mit Spott zu gleichen Teilen.
Den Bentley folgt der Vierfacherfolg des Alfa Romeo 8C und auch Bugatti trägt sich mit dem Modell 57 in die Siegerlisten ein, bevor in den Jahren 1940 bis 1948 die Motoren verstummen. Die Jahre nach dem Krieg dominiert Jaguar mit seinen C- und D-Types. In diese Zeit fällt der furchtbarste Unfall, den das 24-h-Rennen je verzeichnen wird. Die Katastrophe ereignet sich 1955, als der Franzose Pierre Levegh auf Mercedes-Benz 300 SLR auf der Zielgerade mit dem Austin-Healey von Lance Macklin kollidiert und in die Zuschauerränge fliegt. 82 Menschen sterben in dem Inferno aus umherfliegenden Wrackteilen und brennendem Benzin.
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Porsche existierte als neue Sportwagenmarke erst seit zwei Jahren, als der französische Importeur und Rennfahrer Auguste Veuillet und Charles Faroux, Renndirektor des 24-h-Rennens von Le Mans, im Jahr 1950 auf dem Pariser Salon mit Ferdinand Porsche Kontakt aufnahmen. Ihre Idee: Porsche sollte bei dem Langstreckenrennen ein Jahr später mit einem 356 an den Start gehen. Zwei 356 SL (Super Leicht) brachte Porsche an den Start – Fahrzeuge, die noch in Gmünd/Kärnten entstanden waren und eine Aluminiumkarosserie besaßen, die deutlich leichter war als die ab April 1950 bei Reutter gefertigten Exemplare aus Stahl. Porsche gab für den Porsche 356 SL ein Gewicht von 635 Kilogramm an, 120 Kilogramm weniger als für die Wagen auf Basis der Stahlkarosserien. Der Motor mit 1086 cm3 wurde von 40 auf 44 PS gebracht, der Tank auf 78 Liter vergrößert, dazu kamen aerodynamische Abdeckungen für die Räder. Die Spitze lag bei 160 km/h. Einer der beiden Wagen fiel 1951 durch Unfall schon im Training aus, mit dem anderen holten Auguste Veuillet und sein Landsmann Edmond Mouche den Sieg in der Hubraumklasse bis 1,1 Liter. Mit einem Durchschnitt von 118,36 km/h und 2840,65 gefahrenen Kilometern stellten die Fahrer auch einen Klassenrekord auf. Seitdem sind bis heute in jedem Jahr Fahrzeuge von Porsche in Le Mans am Start gewesen. Nur 1959, ein einziges Mal, kam keiner davon ins Ziel. 1952 wiederholte Veuillet den Erfolg, ein Jahr später fiel er aus. Danach war nur noch 1956 ein Porsche 356 A mit 1,3-Liter-Motor am Start.
Mit dem 908 brachte das Werk im Jahr 1968 erstmals einen Wagen an den Start, der Chancen auf einen Gesamtsieg besaß. Nach dem Streckenrekord des Ford GT 40 im Jahr zuvor hatten die Organisatoren das Hubraumlimit bei Prototypen auf 3,0 Liter und bei Sportwagen auf 5,0 Liter gesenkt, um die Rundenzeiten herabzusetzen. Das war die Chance für Porsche! Der neu entwickelte Achtzylinder-Boxer des 908 leistete 350 PS (später bis 370 PS), vier Werkswagen wurden gemeldet, doch nur ein Auto kam auf Platz 3 ins Ziel. 1969 sollte es deutlich besser laufen, als Hans Herrmann mit einem 908 nur wenige Meter hinter dem Ford GT 40 von Jackie Ickx das Rennen beendete – einer der engsten Zieleinläufe in der Geschichte von Le Mans. Herrmann sagte, er habe Bremsprobleme befürchtet und sich etwas zurückhalten müssen. Im Interview mit PORSCHE FAHRER bezeichnete er das Rennen als bedeutender für ihn als der Sieg ein Jahr später im 917, weil er sich über viele Runden hinweg spannende Positionskämpfe mit unzähligen Führungswechseln mit dem Ford lieferte. Der 908 sicherte 1969 Porsche die Markenweltmeisterschaft und diente beim Dreh des Film-Epos Le Mans 1970 als Kamerawagen.
Mit dem 917 gelang Porsche 1970 erstmals der Gesamtsieg in Le Mans. Die Art und Weise, wie das geschah, und wie es zuvor gelang, aus einem zunächst unfahrbaren PS-Monster ein Siegerauto zu formen, spiegelt die ganze Leidenschaft wider, mit der Langstreckenrennen in jener Zeit ausgetragen wurden – aber auch die Tragik. Der erste Einsatz des 917 erfolgte 1969. Porsche hatte einen 917 an den Privatier John Woolfe verkauft, der damit bereits in der ersten Runde tödlich verunglückte. 1969 war der Wagen aufgrund aerodynamischer Probleme kaum fahrbar, dazu kamen in Le Mans technische Gebrechen, kein 917 erreichte das Ziel. 1970 waren die aerodynamischen Probleme gelöst, doch das John-Weyer-Team, das 1969 noch den Ford GT40 siegreich eingesetzt hatte, sollte mit dem starken 4,9-Liter-Motor nicht den Erfolg einfahren. Das gelang Porsche Salzburg mit den Fahrern Hans Herrmann und Richard Attwood, die in dem von starkem Regen geprägten Rennen den ersten Gesamtsieg für Porsche errangen. Den zweiten Sieg beim dritten Start holten 1971 Helmut Marko und Gijs van Lennep. Mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von über 222 km/h und 5335 gefahrenen Kilometern stellten sie einen neuen Distanzrekord auf. Eine Änderung des Reglements machte danach weitere Teilnahmen unmöglich. 1981 nahm ein 917-Nachbau von Kremer Racing noch einmal in Le Mans teil. Der Wagen war auf Basis vieler Ersatzteile entstanden, die der Rennstall noch im Lager hatte, schied aber aus.
Ernst Fuhrmann, seit 1972 Porsche-Chef, hatte einen Sparkurs im Motorsport angeordnet. Das kostspielige Wettrüsten der Jahre zuvor unter Ferdinand Piëch war damit Vergangenheit, einen Nachfolger für den 917 in der Sportwagenklasse sollte es nicht geben. Basis für alle Rennsporteinsätze wurde der 911. Norbert Singer entwickelte auf dessen Basis den Porsche 911 RSR – keine leichte Aufgabe, wie er betonte. Der 911 RSR Turbo 2.1 war im Jahr 1974 der erste Wagen mit Aufladung, der in Le Mans an den Start ging. Er wurde in der Sportwagenklasse bis 3,0 Liter Hubraum einsortiert – der Hubraum von 2,1 l resultierte aus dem Handicap-Faktor von 1,4 für aufgeladene Triebwerke, um Chancengleichheit zu den Saugmotoren herzustellen – und hob sich optisch durch den großen Flügel und das breite Heck vom RSR 3.0 ab. Der 120-Liter-Tank war hinter dem Fahrersitz untergebracht. Einer der zwei Werkswagen mit Gijs van Lennep und Herbert Müller am Steuer kam auf Platz 2 ins Ziel, der zweite schied mit Motorschaden aus. Der 911 RSR Turbo 2.1 kam nur ein Jahr und auch nur bei wenigen Rennen zum Einsatz.
Den kompletten Bericht zu 100 Jahre Le Mans und die anderen fünf wichtigsten Porsche in Le Mans finden Sie in Ausgabe 4-2023
Text: Jan-Henrik Muche