911-Fotoprojekt von Hubert Klotzeck

Rückkehr an den Ort der Geburt

Teilen
Sicher, es wirkt wie ein Klischee, aber es stimmt: Noch bis weit in die 1980er-Jahre war die Produktion eines Porsche 911 von Handarbeit geprägt. Wie sollte es auch anders sein, mögen die Fans einwerfen. Ein in einer Kleinserie gefertigter Sportwagen wie dieser kann nicht das Ergebnis des seelenlosen Zusammenspiels perfekt arbeitender Roboter in einer kühlen Produktionshalle sein. Vor dem inneren Auge bauen sich Bilder von Spezialisten auf, die in alten Fabrikhallen in jahrelang geübter Kunst einen Porsche 911 entstehen lassen. Doch das ist Vergangenheit. Der Fotograf Hubert Klotzeck hat diese Stimmung aufgegriffen und eine Reihe von Porsche 911 in einer verfallenden Gießereihalle in Ingolstadt in Szene gesetzt.

© Hubert Klotzeck
Wie Skulpturen stehen die 911 in der leeren Räumen, an den Wänden hat sich über Jahrzehnte der Schmutz aus der Produktion abgesetzt, an einigen Stellen bröckelt der Putz. Durch die Fensterscheiben fällt das Licht in eine Schwarz-Weiß-Kulisse, die gegen Ende des 19. Jahrhunderts geformt wurde. Die farbigen Wagen bilden darin einen Kontrast. Sie scheinen zu leben, die Hallen nicht mehr. „Das passt, das ist trotzdem eine Welt“, sagt Hubert Klotzeck über das Arrangement.

© Hubert Klotzeck
Die unter Denkmalschutz stehenden Gebäude sind die letzten Zeugen der beginnenden Industrialisierung in Ingolstadt Mitte des vorletzten Jahrhunderts. Im Laufe der 1990er-Jahre wurden auf dem Gelände der ehemaligen „Königlich Bayerischen Geschützgießerei und Geschossfabrik“ die meisten Hallen abgerissen. Seit 1995 ruht in den Hallen die Arbeit ganz. Die Rieter Ingolstadt Spinnereimaschinenbau AG hatte hier am Schluss einen Teil ihrer Fertigung untergebracht. Wer heute auf der Autobahn an Ingolstadt vorbeifährt und an die Stadt denkt, hat vor allem Audi und die Raffinerien im Sinn.

Dass es einst staatlich geführte Rüstungsbetriebe waren, die den Grundstein für den Industriestandort Ingolstadt bildeten, ist heute in Vergessenheit geraten. Über Jahrzehnte waren sie die größten Arbeitgeber in der Region. Sie sind selber das Ergebnis kriegerischer Auseinandersetzungen: Nachdem die Ingolstadter Festungsbauten zu Beginn des 19. Jahrhunderts von Napoleons Truppen zerstört worden waren, plante das bayerische Königreich den Wiederaufbau und die Erweiterung der Anlagen. Gleichzeitig sollte hier ein zentraler Platz für die Fertigung von Waffen entstehen, dazu wurden ab Mitte des 19. Jahrhunderts Rüstungsbetriebe in die Stadt verlegt oder dort neu geschaffen.

Vor dem Ersten Weltkrieg war Ingolstadt nach der preußischen Waffenschmiede in Berlin-Spandau das zweitwichtigste Rüstungszentrum des Deutschen Reiches. In den Jahren 1914 bis 1919 arbeiteten bis zu 5800 Menschen in der Fertigung von Kanonen und Geschossen. Danach wandelte sich aber das Produktionsspektrum: Jetzt wurden Maschinen für die Baumwollspinnerei hergestellt – und das bis in die Neuzeit hinein unter verschiedenen Firmenkonstrukten und Eigentumsverhältnissen. Automobile rollten nie aus diesen Hallen. Doch immerhin ist der Bezug nah: „Audi hat seine ersten Produktionsanlagen nur rund 150 Meter von dem Gießereigebäude gehabt“, sagt Hubert Klotzeck.

Hubert Klotzeck
Der 43-Jährige ist in Ingolstadt geboren wurden und lebt seit vielen Jahren im Altmühltal. „Meiner Geburtsstadt fühle ich mich immer noch stark verbunden.“ Auf seiner Suche nach interessanten Orten entdeckte er das Areal vor etwa vier Monaten neu. Seine Großmutter arbeitete in der Maschinenfabrik. „Ich habe noch Erinnerungen an den Komplex aus meiner Kinderzeit.“

Klotzeck fotografiert seit 13 Jahren, zunächst nur schwarz-weiß und analog, Filme und Abzüge entwickelte er selber im eigenen Labor, „das Aufnehmen und die Weiterverarbeitung sind für mich untrennbar miteinander verbunden.“ Erst vor drei Jahren wechselte er auf die digitale Technik, seine Einstellung zur Arbeit mit dem Fotoapparat hat sich dadurch aber nicht verändert. „Ich manipuliere nicht, ich verwende die Bildbearbeitung so, wie es in meinem Labor gemacht habe. Da und dort mal etwas abwedeln, mehr nicht. Wenn ich ein Bild im Sucher habe und auslöse, ist es fertig.“

Sauber und in Ruhe komponieren mit der Kamera auf dem Stativ – Klotzecks bevorzugte Sujets sind Steinbrüche sowie verlassene und verfallende Areale, „Unorte“, wie er sie nennt. In seiner Bilderserie in der Ingolstadter Gießerei führte er diesen Ansatz mit einer weiteren Passion zusammen, seiner Leidenschaft für den Porsche 911. 2002 kaufte er sich seinen ersten Porsche, einen 911 Carrera 3,2 Targa aus dem Baujahr 1984. Mit rund 270.000 Kilometern verkaufte er ihn. Dazwischen besaß er für etwa drei Jahre ein silberblaues 74er-Coupe, die Basis-Ausführung mit 150 PS. Nach der Geburt seiner Tochter fuhr er 2007 für ein paar Monate einen 944 S, weil er der praktischer war. „Doch ich merkte bald, dass mir hier zu viel gegenüber dem 911 fehlt“. So kam wieder ein weißer 911 Carrera 3,2 Targa ins Haus, wie das erste Auto aus dem Baujahr 1984. Doch der Spontankauf war nicht ganz das, was er sich vom Zustand her erhoffte. Seit 2009 steht ein 993 Coupe aus dem Jahr 1995 in der Garage.

© Hubert Klotzeck
Die Idee, die Gießereihalle als Ort für eine Foto-Session mit einem Porsche zu machen, kam ihm dadurch, weil ein Bekannter dabei ist, sich einen ungewöhnlichen alten 911 aufzubauen und er das Projekt fotografisch begleiten möchte. Sein 993, sagt er, sei eigentlich schon fast zu modern, um als Fotoobjekt in der Gießereihalle zu dienen. Besonders gut gefällt ihm die Kombination der Hallen mit den 911ern vor Baujahr 1989, am besten die älteren Modelle mit den alten Stoßstangen vor dem Modelljahr 1974. „Die Farben dürfen nicht zu knallig sein.“ Pink und Rose wirkten nicht so gut, habe er gemerkt.

In der Schwarz-Weiß-Landschaft der alten Halle wirken die Autos frisch und lebendig, überlebende Zeugen einer Produktions-Epoche, die nicht nur hier dabei ist zu versinken. Irgendwie kann man sich vorstellen, dass die 911 noch einmal an den Ort zurückgekehrt sind, an dem sie einst entstanden sind.

Ähnliche Artikel
Artikel teilen

Bitte wählen Sie eine Plattform, auf der Sie den Artikel teilen möchten:

Beitrag melden

    Ihr Name

    Ihre E-Mail-Adresse

    Bitte beschreiben Sie kurz, warum dieser Beitrag problematisch ist

    [honeypot company]


    xxx
    Newsletter-Anmeldung

    * Pflichtfeld

    ** Der HEEL Verlag erhebt Ihre Daten zum Zweck des kostenlosen E-Mail-Newsletters. Die Datenerhebung und Datenverarbeitung ist für die Durchführung des Newsletters und des Informationsservice erforderlich und beruht auf Artikel 6 Abs. 1 a) DSGVO. Zudem verwenden wir Ihre Angaben zur Werbung für eigene und HEEL-verwandte Produkte. Sie können sich jederzeit vom Newsletter abmelden. Falls Sie keine Werbung mehr auf dieser Grundlage erhalten wollen, können Sie jederzeit widersprechen. Weitere Infos zum Datenschutz: ds.heel-verlag.de