Porsche Klassik
· 01.09.2021
Dass der Porsche 911 mit seiner 54 Jahre jungen Erfolgsgeschichte ein Jahrhundertentwurf ist, gestehen ihm sogar eifernde Anhänger des öffentlichen Personennahverkehrs zu. Dass es auch einen Jahrtausend-Elfer gibt, hat einen anderen Hintergrund. Ihn stellte Porsche im September 1999 vor, und der Anlass für das auf 911 Exemplare limitierte Sondermodell »Millennium« lag auf der Hand: die Vorfreude auf den Sprung in die 2000er-Jahre, in denen alles anders werden würde, solange nur einer bleibt, wie er war – der ikonische Sportwagen aus Zuffenhausen. So betrachtet war das Editionsmodell auch ein Versprechen für die Zukunft. Aus heutiger Sicht steht fest: Porsche hat Wort gehalten. Denn in einer Mobilitätswelt, die sich im Umbruch befindet, steht der Elfer weiterhin wie ein Monolith für die pure Lust am Fahren.
Gewiefte Porsche-Sammler wissen: Selbst Sondermodelle wie der 911 Millennium werden nicht für die Ewigkeit gebaut – bringen aber ein nochmals höheres Potenzial mit, geht es um den Werterhalt oder sogar die Wertsteigerung. Ein Aspekt, der im Zusammenhang mit der 996-Baureihe von besonderer Bedeutung ist. Als erster Elfer mit wassergekühltem Motor hatte es diese von 1997 bis 2006 gebaute 911-Generation mitunter schwer: Die Hardcore-Fans standen zudem dem Gleichteilekonzept mit dem kleineren Boxster kritisch gegenüber und machten das speziell an den »Spiegeleier«-Scheinwerfern fest. Lange Zeit wirkte sich dies auch auf dem Gebrauchtmarkt aus: Selbst gut erhaltene 996 mit geringer Laufleistung wurden unter 25.000 Euro gehandelt und galten mithin als Schnäppchen. Doch die Talsohle hat diese 911-Baureihe längst durchschritten. Zu Recht, wie eine Ausfahrt mit dem Millennium-Porsche zeigt.
Lange Zeit galten selbst gut erhaltene Porsche 996 als Schnäppchen. Diese Talsohle hat die 911-Baureihe längst durchschritten.
Denn was viele übersehen hatten: Schon mit dem 300 PS starken 3,4-Liter-Sechszylinder ist der allradgetriebene 996 Carrera 4 rasant motorisiert – und darum geht es bei einem Porsche ja. Die nackten Zahlen für den Topspeed (280 km/h) oder die Beschleunigung auf 100 km/h (5,2 Sekunden) sprechen zwar eine klare Sprache, spiegeln sein Temperament aber nur unzureichend wider. Tatsächlich gehört dieser Elfer bis heute zu den ganz schnellen Geräten im Lande. Quasi aus jeder Lebenslage dreht der gierig am Gas hängende Boxermotor dem roten Bereich bei 7.200 Touren flink entgegen und bellt dabei genüsslich aus seinen verchromten Auspuffendrohren, die bei der Millennium-Version einen vergrößerten Durchmesser besitzen. Das Sechsgang-Schaltgetriebe gilt mit seiner Präzision noch immer als mustergültig, auch Fahrwerk und Lenkung fühlen sich offenbar nur einer Aufgabe verpflichtet: auf kurvigen Landstraßen richtig viel Spaß zu bereiten, nun aber in Tateinheit mit einem Langstreckenkomfort, den viele einem reinrassigen Sportwagen nicht zugetraut hätten.
Dass dieses Jahrtausend-Modell etwas Besonderes ist, zeigen viele Details – allen voran die chamäleonartige Lackierung, denn der Karosserieton »Violetchromaflair« wechselt je nach Licht- und Blickwinkel seine Farbe, von sattem Grünmetallic über ein leichtes Violett bis hin zu Anthrazit. Auch die 18-Zoll-Räder im Turbo-Monobloc-Design stechen mit ihrer Hochglanzoptik hervor. Gediegen geht es im geschmackvoll eingerichteten Interieur weiter, das inklusive Armaturenbrett und Mittelkonsole mit hellbraunem Naturleder ausgeschlagen wurde – selbst für die Heizungs- und Lüftungsdüsen gaben wohlerzogene Kühe ihre weiche Haut. Die edle Anmutung des Innenraums runden Wurzelholzelemente ab, die Teile des Lenkradkranzes und des kunstvoll modellierten Schaltknaufs ebenso zieren wie die Griffe und Armauflagen in den Türen. Das sieht bis heute zeitlos elegant aus und vereint eine warme Wohlfühlatmosphäre mit dem unvergleichlichen Porsche-Duft, der aus dem Auto ein ganzheitliches Erlebnis macht. Wer einmal Platz genommen hat, möchte eigentlich nie wieder aussteigen.
Ein Sonderangebot war das Sondermodell nicht: 185.000 D-Mark rief Porsche für den 911 Millennium auf, ein serienmäßiges 911 Carrera 4 Coupé kostete rund 35.000 D-Mark weniger. Dafür wären dem Käufer aber viele angenehme Dinge entgangen: das Sportfahrwerk und die Litronic-Scheinwerfer anstelle der »Spiegeleier« zum Beispiel, die elektrische Verstellung des Fahrersitzes, das Schiebedach und das Audiosystem mit CD-Wechsler, digitalem Sound-Prozessor und Freisprecheinrichtung – von der famosen Lederausstattung ganz abgesehen.
Jetzt beginnt sich der Sonderzuschlag auszuzahlen: Der streng limitierte Elfer erfreut mit einer spürbar stabileren Wertentwicklung als andere Carrera-4-Modelle der Ära 996, wie die Marktanalyse der Sachverständigenorganisation GTÜ (s. Seite 60) zeigt – immer vorausgesetzt natürlich, der generelle Zustand des 911 Millennium qualifiziert ihn zum Liebhaberobjekt. GTÜ-Oldtimer-Experte Richard Stoll vom Ingenieurbüro Stoll+Kollegen verrät, worauf er besonders achtet: »Als Erstes natürlich auf den Gesamteindruck des Fahrzeugs, aus der Distanz betrachtet ebenso wie im Detail und speziell auch dann, wenn das Auto auf der Hebebühne steht – von unten gesehen fällt mehr auf als von oben«, so der Stuttgarter. »Da geht es um den einheitlichen Farbton ebenso wie um Beschädigungen und ungleiche Spaltmaße, die auf einen Unfallschaden hindeuten können. Ist der Innenraum sauber und geruchsfrei? Manche Wagen müffeln, wenn sie in schlecht gelüfteten Hallen gestanden haben oder sich Feuchtigkeit gesammelt hat. Passt der Abnutzungsgrad von Lenkrad, Schalthebel und Schaltern zum angegebenen Kilometerstand?«
Für Stoll liefert das Erscheinungsbild des Fahrzeugs wichtige Rückschlüsse: »Präsentiert sich der Porsche innen wie außen in einem gepflegten Zustand, dann ist dies auch ein Indiz für den Umgang mit ihm – etwa, ob er regelmäßig mit Verstand warmgefahren oder glühend heiß in der Garage abgestellt wurde.«
Das größte Fragezeichen stellt sich Gebrauchtwagenkäufern zumeist, wenn es um Motor und Getriebe geht – speziell beim Porsche 996 ein heiß diskutiertes Thema: Einzelne 3,4-Liter-Sechszylinder mit 300 PS litten unter einem Haltbarkeitsproblem, verursacht durch eine fehlerhafte Nikasil-Beschichtung der Zylinderwände. Soweit die schlechte Nachricht. Und jetzt die gute: Der Defekt tritt zumeist auf den ersten 80.000 Kilometern auf und danach nicht mehr, bei Fahrzeugen mit geringerer Laufleistung lässt er sich durch eine simple Brennraum-Endoskopie gut erkennen, wie Porsche-Experte Ralf Zensen vom Sportwagenzentrum Eifel erläutert.
Richard Stoll nennt weitere Möglichkeiten, Licht ins Dunkel der Antriebsstrang-Blackbox zu bringen. »Erster Tipp: die Daten des Onboard-Diagnosesystems auslesen«, empfiehlt der Schwabe: »Bei 996-Modellen der ersten Generation können Hinweise auf die Betriebsstunden oder einen überdrehten Motor nicht nachträglich gelöscht werden. Nächster Schritt: eine Ölanalyse. Das geht relativ einfach und innerhalb von wenigen Tagen. 150 Milliliter genügen, allerdings sollte das Schmiermittel mindestens 10.000 Kilometer alt sein. Metallische Partikel, Wasser oder Benzin im Öl weisen auf ein größeres Problem hin. Wer es ganz genau wissen will, lässt die Kompression der sechs Zylinder prüfen. Aber dies ist schon ein größerer Aufwand, den ich als Käufer natürlich bezahlen muss.«
Interessant auch: Stimmen Motor- und Getriebenummern noch mit dem Auslieferungszustand überein? Ein Abgleich mit der »Geburtsurkunde« des Neunelfers, nachträglich bei jedem Porsche-Stützpunkt erhältlich, bringt Klarheit. »Wer auf die Wertsteigerung des Autos abzielt, für den sind ›Matching Numbers‹ wichtig«, so Stoll. »Wer ein Spaßgerät sucht, kann auch mit einem Ersatzmotor leben …«
TECHNISCHE DATEN
Porsche 996 Carrera 4