60 Jahre Porsche 911 – 993 und 996Alles auf Anfang

Porsche Klassik

 · 01.09.2021

60 Jahre Porsche 911 – 993 und 996: Alles auf AnfangFoto: Theodor Barth
Alles im Fluss Viel mehr als drei Zahlen sind es nicht, die den 911 von 1993 mit seinem Nachfolger von 1997 verbinden.
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Zu viel Wissen macht unzufrieden, wenigstens das hat sich seit Aristoteles nicht geändert. Deshalb ist es wahrscheinlich eine gute Idee, erst den verrufensten Porsche 911 aller Zeiten zu fahren und dann seinen Vorgänger. Nicht umgekehrt, wie es vor 26 Jahren erst die Tester machen und dann die Neuwagen-Käufer mit Porsche-Abo. Natürlich kann das nicht gut gehen, das wissen wir auch ohne griechische Philosophen. Heute trennt beide jungen Klassiker nur der Preis, nicht aber die Furcht des Neuwagen-Käufers, bald nur noch das falsche Auto kaufen zu können – auch das macht Oldtimer-Fahren zum Privileg. Und den 996 zum Typen, mit dem sich ein Wiedersehen lohnt.

Dass er mit über 175.000 gebauten Exemplaren zum Bestseller wird, steht bei der Premiere auf der IAA 1997 noch längst nicht fest. Sicher, selbst die Puristen sehen damals ein, dass dem 3,6-Liter-Boxer des 993 allmählich die Luft ausgeht. Weder mehr Leistung noch weniger Schadstoffe sind mit dem Traditionsmotor machbar, ganz abgesehen vom überlebensnotwendigen Gleichteile-Konzept, das die Triebwerke des Boxster und 911 verbindet. Der neue, 300 PS starke Wasserboxer namens N94 muss es auch fürs Controlling der taumelnden Marke richten, mit ihm geht das gierige Geraspel des 993 ebenso dahin wie das vertraute Klickern der Kipphebel und das Spannungsknistern, wenn der Motor abkühlt.

»Wir haben in jeder Ecke aufgeräumt«, sagt Wendelin Wiedeking. Das gilt auch für den 996, deshalb geht er als Pragmatiker in die Porsche-Geschichte ein.

Auch die Form des 996 gefällt den Puristen nicht, sie fremdeln mit der Nähe zum Boxster und besonders den Spiegeleier-Leuchten, die – wieder aus Kostengründen – jetzt auch Blinker und Nebelleuchten beinhalten. Selbst das Fehlen der 911-typischen Taille zwischen den Radkästen halten sie dem Neuen vor, dabei hat der 996 ausgerechnet dieses Merkmal mit dem Ur-Elfer gemeinsam.

Er ist nicht weniger als ein völlig neues Auto, so viel Anfang war beim 911 seit 1963 nicht. Kein einziges Teil passt vom 993, auch wenn zumindest das Airbag-Lenkrad des 996 auf den ersten Blick so aussieht. Vor allem aber ist der Stilbrecher ein Typ, der gut altern kann. Das gilt selbst dann, wenn er im trendigen Dunkelgrünmetallicder späten 90er vor einem steht. Auch das Dottergelb der Blinker geht heute als schützenswertes Zeitdokument durch, während die Breite von 1,83 Metern längst kein Schock mehr ist, sondern das Format aller neuzeitlichen 911er.

Ja, die Tür schließt mit Hohl-Plopp-Geräusch. So plastisch beschreibt es Jürgen von Gosen damals in »Auto Bild«. Auch die Zeile seiner Titelstory schreibt Geschichte: »der Lenor-Porsche«. Bis heute erinnert sich der Tester an die erste Probefahrt: »Ich war total enttäuscht, besonders vom weichgespülten Sound.« Aber auch den verteidigt der damalige Porsche-Pressechef Anton Hunger, als er nach Erscheinen des Fahrberichts in der Hamburger Redaktion vorstellig wird: »Er erklärte mir, dass die Kunden einen bequemeren Porsche wollen. Einen, der auch für Langstrecken taugt. Und zum Telefonieren während der Fahrt.«

Damals verstören solche Statements die Porsche-Enthusiasten. Heute dagegen fällt es schwer zu glauben, dass die frühen 996 schon in vier Jahren mit H-Kennzeichen unterwegs sind. Aus der Zeit gefallen wirken allein die Knisterknarz-Elemente der Instrumententafel, doch sonst fühlt sich der heutige 996-Fahrer wie in einem modernen Auto.

Auch der 993 ist im Grenzbereich kein tückisches Tier mehr. In Dezibel gemessen, ist er nicht einmal lauter als sein Nachfolger.

Damals, beim Debüt des Neuen, vermelden die Porsche-Entwickler, dass selbst Walter Röhrl jetzt mit dem Verstellbereich des Fahrersitzes klarkommt. Auch das Lenkrad und die Gurthöhe lassen sich einstellen, außerdem sind die stehenden Pedale passé, was dazu beiträgt, dass sich der 911 ohne jede Gewöhnung bedienen lässt. Das kann man »limousinenhaft« finden wie die Tester von »auto motor und sport«, aber auch befreiend, wenn man vorher womöglich doch im 993 gesessen hat.

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Der 911 ist jetzt auf beiläufige Weise schnell, selbst das gehört zur Eroberungs-Strategie, die der junge Porsche-Chef Wendelin Wiedeking favorisiert. Lenor hin oder her, der 996 mag bis 4.000 Umdrehungen tatsächlich wie eine Waschmaschine klingen, doch er dreht ja bis über 7.000 und legt dann doch noch an akustischem Furor zu. Er fordert dabei nicht viel von seinem Fahrer, nicht einmal das Ausschalten des Radios, doch natürlich lässt er sich auf kürzeren Wegen schalten als sein Vorgänger und reagiert noch einen Tick beflissener auf jede Lenkbewegung.

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»Wir haben in jeder Ecke aufgeräumt«, sagt Wiedeking damals in Interviews. Und er ist stolz darauf, dass die neuen, günstigeren Porsche-Zulieferer nicht mehr in Baden-Württemberg sitzen, sondern überall auf der Welt. Das tut den Romantikern weh, doch es rettet den ganzen Laden und erklärt, warum der 996 als Pragmatiker unter den Supersportwagen in die Geschichte eingeht.

Man kann die Sitzposition im 996 zu limousinenhaft finden. Vielleicht passt sie aber auch einfach zur beiläufigen Schnelligkeit des Neuen.

Sicher, auch der 993 ist kein tückisches Tier mehr. Die neue Mehrlenker-Hinterachse macht ihn zum gutmütigen Auto, das nicht einmal abruptes Gaspedal-Lupfen bestraft. Auch die Bremsen und die Lenkung lassen den heutigen Benutzer vergessen, dass er in einem Oldtimer sitzt. Am ehesten sind es noch die langen Wege der Schaltung, die an das Alter des 993 erinnern. Und natürlich der schöne Eigensinn vieler Details, die ihn noch einmal mindestens 20 Jahre älter wirken lassen, als er tatsächlich ist.

Das beginnt bei den Regenrinnen nach alter Käfer-Schule und endet noch lange nicht bei den filigranen A- und B-Säulen. Innen erzählen das Ebenmaß der Ledernähte und die Passung jedes einzelnen Kunststoffteils vom handwerklichen Prozess der 911-Frühzeit, ganz abgesehen von den sichtbaren Kreuzschlitz-Schrauben, mit denen die Brüstungsleisten im Fond befestigt sind. Fast schockierend wirkt in diesem Traditions-Szenario die neuzeitliche Kombination aus Radio, Navigation und Telefonie, die im DIN-Schacht der alten Bundesrepublik steckt und damit ein Display von der Größe einer Visitenkarte ermöglicht. Das Nokia-2110-Telefon dagegen gehört tatsächlich schon ab 1996 zur Serienausstattung.

Natürlich ist er immer noch schnell, obwohl ihm der stärkere und etwas leichtere 996 von null auf 200 fast drei Sekunden abnimmt. Aber lauter ist der Luftgekühlte dabei nicht, wie ein ungläubiger Blick ins Testarchiv ergibt. Tatsächlich läuft der 993 leiser als seine Vorgänger, aber das stört die Anhänger der Urschrei-Therapie bei 6.000 Umdrehungen nicht, weil er trotzdem noch einen Hauch schärfer klingt.

Wie bei allen großen Klassikern, die im Grunde ohne Nachfolger bleiben, gehen die Preise des 993 heute durch die Decke. Er ist ein Auto zwischen den Zeiten, der 996 dagegen gehört zu den günstigen Youngtimern von heute. Einen für den Alltag und einen zum behutsamen Verkosten, mehr muss man heute womöglich gar nicht wissen, um mit allen beiden zufrieden zu sein.