Porsche Klassik
· 01.09.2021
Ganz sachlich spricht der »Christophorus« Nr. 239 vom »Turbo Plus«, leitet her, ordnet ein. Eine Doppelseite nebst technischen Daten im Vergleich zu Speedster und 968 CS räumt die legendäre Kundenzeitschrift dem Porsche 911 Turbo 3.6 ein. Mehr nicht. Die Redakteure wussten damals eben nicht, wie begehrt der 964 Turbo 3.6 einmal werden würde, oder dass Will Smith und Martin Lawrence in dem Film »Bad Boys« mit ihm ein cineastisches Spektakel abliefern würden. Wie sollten sie ahnen, dass heute der 964 Turbo ganz allgemein als einer der gelungensten Elfer überhaupt gilt?
Gut, dass sie es nicht wussten. Gut, dass niemand die Zukunft voraussagen kann, denn dann wäre das Leben dieses indischroten Turbo 3.6 wohl in ganz anderen Bahnen verlaufen. Lange bevor der Turbo 3.6 1993 ausgeliefert und lange bevor er auf dem Pariser Salon im Oktober 1992 präsentiert wurde, zog dieser Wagen schon seine Runden. Er ist einer von drei Prototypen, die im Fahrversuch von Porsche in Weissach viele Prüfungen bestehen mussten. Interessant dabei ist, dass in diesem Wagen gleich auch ein leistungsgesteigerter Motor steckte: Der Code M64/50S in den Stammdaten des Porsche lässt keinen Zweifel, dass unter dem Turboflügel nicht nur ein 360 PS starkes Aggregat steckt, sondern sogar der 385-PS-Motor (später unter dem Code X88 bestellbar), der unter den Fittichen von Projektleitern wie Peter Zickwolf, der immer wieder in den Unterlagen erwähnt wird, zur Serienreife gelangte.
Im »Christophorus« Nr. 239 stand der Wagen von Mario Piel Modell für die kommende Variante Turbo 3.6.
Nach den Tests hatte Porsche Weissach im Frühjahr 1994 keine Verwendung mehr für den Prototyp, sodass ein Porsche-Mitarbeiter ihn »rauskaufen« durfte. Damals noch möglich und auch so im originalen Fahrzeugbrief vermerkt, heute ein Ding der Unmöglichkeit. Fortan kurvte der Wagen mit Ludwigsburger Kennzeichen umher – aber nicht lange! Denn bei Porsche trat ein guter Kunde auf, der unbedingt einen indischroten Turbo 3.6 haben wollte. Dort erinnerte man sich an den veräußerten Prototyp und stellte den Kontakt her. Für welche Summe der Wagen damals den Besitzer wechselte, ist nicht bekannt, doch der Porsche-Kunde, ein Unternehmer aus dem schönen Franken, durfte sich als Dritter in den Kfz-Brief eintragen lassen. Der Porsche-Fan baute ihn ein wenig nach seinem Geschmack um, ließ den ausladenderen Heckflügel eines 964 Carrera RS 3.8 und ein Sportlenkrad installieren, baute auf Klarglasblinker um. 2001 kam es zu einem Weiterverkauf. Ein Unternehmer und Porsche-Fan aus der Nähe von Friedrichshafen am Bodensee erwarb den Turbo und hegte und pflegte ihn. Oft fuhr er mit dem Wagen zum Golfen.
Über alte Bekanntschaften kam der Kontakt zu Claus Piel zustande. Über Porsche sagt der Car Guy: »Habe ich mal gefahren, hat sehr viel Spaß gemacht. Aber inzwischen gefallen mir auch andere Suttgarter Fahrzeuge gut.« Doch dann erzählte er seinem Sohn Mario von dem Porsche. Der Vorbesitzer wusste wohl, dass der Wagen ein Prototyp ist, hatte dem aber keine allzu große Bedeutung beigemessen. Mario Piel recherchierte und war sich dann sicher: Das könnte eine interessante Investition sein. »Ich muss gestehen, dass ich anfangs so gedacht habe«, er lächelt fast verschämt.
Heute ist das anders. Und besonders an diesem Tag der Abholung. Vater und Sohn Piel haben ihren Wagen in so vielen Zeitschriften und Büchern wiedergefunden, da er seinerzeit als Pressefahrzeug diente, haben so viel Zeit in die Recherche der exakten Fahrzeuggeschichte gesteckt und am Ende auch noch mal einen nicht kleinen Betrag in die penible Aufarbeitung bei Porsche Classic. Und deshalb sind auch heute alle dabei: Familie Piel, ihr Kundenbetreuer der Porsche Werksrestaurierung Martin Hornberger, Porsche-Classic-Administrator Ronny Till und der Leiter der Werksrestaurierung Stuttgart Uwe Makrutzki, der es auf den Punkt bringt: »So was hat man nicht alle Tage.« Peter Zickwolf, inzwischen pensioniert, weiß noch manche Geschichte von damals zu erzählen, bevor Mario Piels großer Porsche-Moment kommt: Probefahrt. Ein Glänzen in den Augen: »Wahnsinn!« Von Investment redet niemand mehr.