Porsche Klassik
· 29.02.2024
Der rote 928, den Porsche im Frühjahr 1977 auf dem Genfer Auto-Salon präsentierte, war ein Sportwagen, wie es zuvor keinen gab. Der Blick auf diesen clean gestalteten 928 – noch ohne Heckspoiler – macht auch 40 Jahre danach deutlich, dass Porsche mit ihm ein Jahrhundertdesign geschaffen hatte. Aus der Perspektive des Jahres 2017 betrachtet, könnte man – wüssten wir nicht, aus welcher Zeit der Wagen und das Foto stammen – kaum sicher bestimmen, welchem Jahr dieses Auto zuzuordnen ist. Und das ist ungewöhnlich. Um ein Gefühl für die Zeit zu bekommen: 1977 brachte Mercedes das W123 Coupé heraus; wunderschön, heute barock. Opel schickte den Rekord E in den Handel; erfolgreich, aber rückblickend nicht mehr als ein kantiger Klotz. BMW enthüllte den ersten 7er; ausladend war er, aber nicht einladend. Lotus war da schon visionärer und schickte den Esprit auf die Straße; spektakulär schön, aber nicht zeitlos, brannte er sich eher durch die Tatsache ins Gedächtnis, dass Roger Moore alias James Bond ihn in »Der Spion, der mich liebte« als U-Boot einsetzte. Nein, ein Design für die Ewigkeit – auf dem zeitlosen Niveau eines LC2 (Le Corbusier, 1928), des Lounge Chair (Eames, 1956) oder eines iPhone (Apple, 2007) – bot gegen Ende der 70er Jahre nur ein neues Automobil: der 928.
»Drei Autos in einem« – für Porsche war der 928 »Leistungs-Sportwagen«, »Luxus-Sportwagen« und »Langzeit-Sportwagen« in einem. Die Bezeichnung »Gran Turismo« hätte es auch getan.
Regie führte dabei Anatole Lapine. Den eigentlichen Entwurf des ersten Porsche Gran Turismo brachte jedoch der visionäre Designer Wolfgang Möbius zu Papier. Harm Lagaaij, damals junger Designer in Zuffenhausen und später Chefdesigner von Porsche, verbeugt sich noch heute vor dessen Entwurf: »Den 928 bin ich vor einiger Zeit wieder gefahren. Und da fiel mir auf, wie kompakt diese Autos heute wirken, wie atemberaubend die Abmessungen und Proportionen sind. Es ist faszinierend, wie man es geschafft hat, so unglaublich viel Technik unterzubringen. Ja, wenn ich zurückblicke, sind die Proportionen und die Kompaktheit dieser Autos das Wichtigste.« So viel Technik, das waren unter anderem ein V8 auf der Vorder- und das Getriebe an der Hinterachse. Transaxle genannt; ein englisches Kunstwort aus »Transmission« (Getriebe) und »Axle« (Achse). Porsche schrieb damals in der offiziellen Broschüre zum neuen 928: »Technik formt diesen Wagen. Technik prägt seinen Wert. Styling prägt seine Wirkung. Beides addiert sich zu einem untrennbaren Ganzen, zu ästhetisch gelösten Problemen aus Vorgaben der Konstruktion, Maßgaben der Sicherheit und Aufgaben der Physiologie.«
»Styling prägt seine Wirkung«, »ästhetisch gelöste Probleme« – klingt wie eine Produktbeschreibung von Apple. Doch das heute wertvollste Unternehmen der Welt war 1977 erst eine Garagenfirma mit visionären Ideen, aber noch ohne visionär designte Produkte. Allerdings ist es wohl kein Zufall, dass sich Steve Jobs später genau für diesen avantgardistischen deutschen Sportwagen entschied. Weil Form und Funktion hier eine neue Symbiose eingingen. Ästhetik und in jenen Tagen völlig neue technische Lösungen formten den Wagen, formten ein Design, zeigten, dass Form und Funktion im Einklang zum besseren Produkt führen. »Klare Flächen, klassisch proportioniert, machen Chrom entbehrlich und Sicherheit schön«, referiert Porsche 1977 zum 928. Weiter heißt es: »Statt Stoßstangen fügen sich Prallzonen aus hochelastischem Polyurethanschaum farblich und formal in die Linienführung der Gesamtkarosse ein und erfüllen, ohne klobige Rammschutz-Optik, die USA-Forderung nach Absorption von Kollisionsenergie bis 8 km/h.«
»Der schönste Grund, keinen Elfer zu fahren« – mit diesem ungewöhnlichen Slogan bewarb Porsche in den 90er Jahren den 928.
Mit einer ähnlichen Innovationskraft entwickelte Apple 30 Jahre später das iPhone. Porsche war hier wirklich visionär. Weil das Gros der Automobildesigner in den 70er Jahren noch in einer kantigen, klotzigen Epoche gefangen war. Lapine und Möbius indes waren bereits auf dem Weg in die Zukunft: »Bei völligem Verzicht auf Modisches, auf alle Attribute aggressiver Überlegenheit und aufregender Exotik, zeigt sich der 928 als interessant und praxisgerecht proportionierter Top-Sportwagen von funktioneller Ästhetik bis ins kleinste Detail.« Der 928 muss damals eine gewaltige Aufbruchstimmung im Unternehmen ausgelöst haben. Und so verwundert es nicht, dass sich die Design-Beschreibung ohne Weiteres auf den künftigen Elektro-Porsche Mission E übertragen ließe: »Auch ohne hart gezeichnete, markante Linien, an deren kompromissloser Endgültigkeit man sich schnell sattsieht, vermittelt dieser Wagen den Eindruck kraftvoller Dynamik und herber Eleganz. Weiche Wölbungen wirken aus jeder Perspektive, bei jedem Wechsel des Lichts und der Umgebung anders und überraschen den Betrachter mit immer neuen Effekten – oft ungewohnt und ungewöhnlich – doch stets faszinierend, noch nach Jahren. Und genau das ist das Ziel des Porsche-Stylings: nicht allein spontane Euphorie, sondern zeitlos gültige Aktualität. So macht werterhaltende Modell-Konstanz den Porsche 928 zum zukunftsweisenden Auto des kommenden Jahrzehnts.«
Diese Worte haben noch heute ihre eigene Magie. Weil es kein Marketinggewäsch war, sondern in Worte gefasste und von Leidenschaft getriebene Design- und Ingenieurskunst. Worte, denen ein reales Auto gegenüberstand, das diesen Anspruch auch erfüllte. Formal und technisch. Schon in der ersten 928-Generation war dabei all das angelegt, was Porsche über insgesamt 19 Jahre Produktionszeit mit dem 928 S, 928 S4, 928 GT und 928 GTS immer weiter perfektionierte.
928 GTS – die letzte Evolutionsstufe des 928 wird heute am teuersten gehandelt. Leider treiben auf dem Markt viele Spekulanten mit dem Auto ihr Unwesen.
Der 928 war nicht nur eine schöne Hülle, sondern in der Tat ein außergewöhnlicher Sportwagen. Kaum ein Hersteller gestaltete einen Innenraum vor vier Jahrzehnten wirklich nach den Gesetzmäßigkeiten der Ergonomie. Porsche tat es. Das Cockpit umbaute Fahrer und Beifahrer; jedes Detail war optimal in Griffweite und im Blick. Erstmals konnte der Fahrer im 928 nicht nur die Lenksäule vertikal schwenken, sondern parallel den ganzen Instrumententräger. Ganz gleich, welche Statur der Mensch auf dem Fahrersitz hatte: Instrumente und Lenkrad bildeten so stets eine optimale Sicht- und Bedienachse. Eine leistungsfähige Klimaanlage kühlte schon in jenen Tagen nicht nur das Interieur, sondern ebenso den Schokoriegel im Handschuhfach – normalsterbliche Autos bekamen eine solche Lösung erst Jahrzehnte später. Ähnliches gilt für die Überwachung wichtiger Funktionen. Der 928 hatte bereits einen »zweistufigen Warnautomat«, der permanent Details wie »Bremslicht«, »Schlusslicht« oder »Bremsbelag« kontrollierte und den Fahrer auf Fehler im System hinwies. Wohlgemerkt: der Bordcomputer war noch nicht erfunden. Die gesamte Antriebs- und Fahrwerkstechnik besaß ebenfalls schon 1977 das Potenzial, diese Baureihe viele Jahre durch die Zeit reisen zu lassen. Den vorderen Part des Transaxle-Systems bildete ein neu konstruierter Aluminium-V8. Die Zylinder waren im 90-Grad-V-Winkel angeordnet. In der ersten Ausbaustufe entwickelte der Motor 240 PS und ein maximales Drehmoment von 350 Newtonmetern. Eher bescheidene Werte für einen Sportwagen dieser Klasse; doch der Komfort begeisterte. Übertragen wurde die Power mit einem drehelastischen und vierfach gelagerten Transaxle-Rohr an die Hinterachse. Dort wartete entweder ein Fünfgang-Schaltgetriebe oder eine Dreigang-Wandlerautomatik darauf, die Kraft an die Hinterachse zu bringen.
Und wäre der 928 nicht als Nachfolger des 911, sondern sehr viel eindeutiger als parallel startender Gran Turismo positioniert worden – niemand hätte sich an dieser im Vergleich zum Heckmotor-Boxer weniger agilen und dafür sehr viel komfortableren Antriebsart gestört. Autor Gert Hack schrieb 1977 in der »auto motor und sport«: »Auch Motor und Fahrwerk folgen dem Trend der Zeit, Autofahren so angenehm wie möglich zu machen. So beantwortet der mit 4,5 Litern Hubraum recht üppig bemessene Achtzylinder die Drehung des Zündschlüssels mit einem zwar kraftvollen, aber doch sehr dezenten Brummen. Daran ändert sich auch wenig, wenn höhere Drehzahlen erreicht werden. Von der akustischen Agressivität, wie sie der luftgekühlte Sechszylinder der 911-Modelle besitzt, ist nicht das Geringste zu spüren.« Schon damals schaut der Journalist in die Zukunft dieses Motors: »Der geringe Oktanzahlbedarf (Normalbenzin) und die niedrige Nenndrehzahl machen es möglich, dass sich noch erhebliche Reserven mobilisieren lassen.« Und genau das machte Porsche. Im 928 S erhöhten die Weissacher 1979 Verdichtung und Hubraum (4,7 Liter) und steigerten die Leistung so auf zuerst 300 PS und später 310 PS. 1985 bekam der »S« einen Katalysator und 5,0 Liter Huraum; die Leistung reduzierte sich durch den Kat auf 288 PS. Das kompensierte Porsche ab 1984 im 928 S4 mit einem Vierventilkopf und 320 PS; als erster 928 durchschlug er die 250-km/h-Marke – erst bei 270 km/h blieb die Tachonadel stehen. Ein weiteres Leistungsplus kennzeichnete 1989 den handgeschalteten 928 GT. 330 PS machten ihn 275 km/h
schnell. Als höchste Ausbaustufe folgte 1991 mit nun 5,4 Litern Hubraum der 350 PS starke und ebenfalls 275 km/h schnelle 928 GTS. Gert Hack hatte schon 14 Jahre zuvor prognostiziert, dass das Mobilisieren dieser Reserven nicht am Fahrwerk scheitern würde: »Porsche hat auf diesem Sektor beim 928 einen nahezu beispiellosen Aufwand getrieben. Doppelte Querlenker vorn und eine ingeniös ausgeklügelte Schräglenkeraufhängung an der Hinterachse sorgen unter allen Bedingungen für ein mustergültiges Kurvenverhalten und guten Geradeauslauf.« Und doch war das Gesamtpotenzial des auch in der Fertigung sehr teuren 928 1995 ausgereizt. Der Fortschritt hatte das Auto aus der Zukunft überholt.