Porsche Klassik
· 01.09.2021
Um ehrlich zu sein, klang der Auftrag ein wenig kurios: Es war ein Text gefragt, der die Gemeinsamkeiten zwischen einem der ersten jemals produzierten Porsche, einem Gmünd-356er Baujahr 1949, mit einem Panamera Turbo Sport Turismo Modelljahr 2019 herausarbeiten sollte. Okay, wir dürfen hier zwei hinreißende Eckpunkte der Markengeschichte erleben, die aber auf den ersten Blick ungefähr so viel miteinander zu verbinden scheint, wie die Fackel eines Höhlenmenschen mit Darth Vaders Lichtschwert.
40 PS in einem nicht einmal 700 Kilogramm schweren Cabrioletchen treffen auf den Bullen von Zuffenhausen. Mit Allrad, Kombi-Variabilität und dem Sattdampf von 550 PS/770 Nm unter der Haube versteht sich der Panamera Turbo ja als Schweizer Messer für den gepflegten und forcierten Alltag.
Eine Zeitreise, an deren Ende der Beweis stehen wird, dass Porsche bei aller Veränderung fast immer seinen Prinzipien treu geblieben und die ursprüngliche DNA noch klar erkennbar ist.
Ein ungleicher Kampf, keine Frage. Aber in welchen Disziplinen könnte wohl unser Gmünd-356er den Panamera schlagen? Na ja, er schafft beispielsweise die Ausfahrt aus dem Parkhaus, ohne zu zahlen, weil er unter der Schranke durchpasst. Man ist mit der Bedienungsanleitung früher durch, und die Autowäsche geht sicher auch schneller. Dem Herumalbern folgte aber bald ein kräftiger Aha-Moment. Und ein bisschen Nachdenken förderte noch viele weitere Ahas zutage. Denn dieses Zusammentreffen symbolisiert nicht nur die Entwicklung der Marke über 70 Jahre, sondern dokumentiert auch perfekt die Fortschritte in Automobilbau und gesellschaftlicher Entwicklung. Lassen Sie uns also auf eine Zeitreise gehen, an deren Ende der Beweis stehen wird, dass Porsche bei aller Veränderung fast immer seinen Prinzipien treu geblieben ist und dadurch auch in den aktuellen Modellen die ursprüngliche DNA noch klar erkennbar ist.
8. Juni 1948. Die zuständige Landesbaudirektion (Abteilung Maschinen- und Elektrotechnik) des Bundeslandes Kärnten erteilt die Verkehrsfreigabe für den »Sport 356/1«, das erste von der Porsche Konstruktionen Ges. m. b. H. unter eigenem Namen produzierte Fahrzeug. Das Unternehmen war im Sommer 1944 von Stuttgart nach Gmünd übergesiedelt. Eine kluge Entscheidung, denn in der weit abgelegenen Gebirgsgemeinde hatte man die letzten Kriegstage unbeschadet überstanden.
Aber was hieß das schon? Das Konstruktionsbüro war in einem ehemaligen Sägewerk untergebracht, die Ingenieure arbeiteten in zugigen Holzbaracken, der Produktionsbereich war eine lose Sammlung filigraner Schuppen. Die Büros sind heute noch erhalten, liebevoll restauriert und gemeinsam mit dem örtlichen Porsche-Museum Pfeifhofer längst eine Pilgerstätte für die gusseiserne Fangemeinde. Um das Unternehmen über Wasser zu halten, wurde alles entwickelt und erzeugt, was das Nachkriegsland benötigte. Von der Seilwinde über Kleinstkraftwerke (Porsche Hydromotor Typ 294 I bis III) und Mähfinger für die landwirtschaftliche Genossenschaft bis zum ersten Ackerschlepper (Typ 312).
Zwei hinreißende Modelle, die auf den ersten Blick ungefähr so viel miteinander zu verbinden scheint, wie die Fackel eines Höhlenmenschen mit Darth Vaders Lichtschwert.
Aber Ferry Porsche hatte einen Traum: Er wollte einen Sportwagen entwickeln, der seinen eigenen, sehr hohen Ansprüchen genügte. Eine komplette Neukonstruktion (Motor, Antrieb, Karosserie) war unter den gegebenen Umständen nicht vorstellbar, der rettende Hinweis entstand sozusagen als Nebenprodukt der Entwicklung des genialen Allrad-Grand-Prix-Renners Cisitalia 360. Ferry Porsche erinnerte sich später an die Initialzündung der Marke Porsche folgendermaßen: »Die Anregung kam, das kann man ruhig zugeben, durch Cisitalia. Diese Firma baute damals einen kleinen Sportwagen mit Fiat-Motor. Da sagte ich mir: Warum sollten wir nicht das Gleiche mit VW-Teilen tun können?«
Der Sport 356/1 entstand auf einem gebrauchten VW-Fahrgestell, dessen verkehrt eingebauter Boxer von 25 auf 35 PS hochgewuppt wurde. Aber schon mit dem 356/2 hatte man in Gmünd die endgültige Form des ersten Erfolgsmodells gefunden. Unter schwierigsten Bedingungen wurden in etwas mehr als einem Jahr die ersten 50 Porsche gebaut. Deren Karosserien entstanden aus Alublech, das in mühsamer Handarbeit über eine Holzform getrieben wurde. Ab April 1950 liefen dann in Stuttgart die ersten Serien-356 in Stahlblech vom Band. Die Gmünd-Modelle dürfen also durchaus als Porsches Bundeslade verstanden werden, und Indiana Jones macht sich auf die Suche nach einem der verschollenen Exemplare.
Apropos Indiana Jones: Von den Gmünder Holzbaracken aus betrachtet, strahlt das heutige Entwicklungszentrum wie ein UFO von einem sehr fernen Planeten. Weissach wurde 1971 in Betrieb genommen und seither kontinuierlich erweitert. Heute arbeiten 7.500 Ingenieure an einer Hightechmaschinerie, die immer wieder aufs Neue die besten Sportwagen der Welt auswirft. Und mehr noch. Bei allen Modell-Erfolgen wurde nicht die Tradition der Fremdentwicklungen vergessen. Bloß, dass man inzwischen statt Mähmaschinen und Seilwinden einen neuen Harley-Motor, coole Wasserfahrzeuge oder Teile des Airbus-Cockpits entwickelt hat.
Schon die frühen Modelle sorgten durch ihre Qualität und ihren unbedingten Alltagsnutzen für enormes Vertrauen in die Marke, während italienische und britische Sportwagen ebenso anbetungswürdige wie grauenhafte Diven sein konnten.
Der erste 356 verlangte nach einer nachhaltigen Vision, dazu Mut und Entschlossenheit in der Umsetzung. Viele Jahre später brauchte Porsche zwei Anläufe, um den in allen technischen Belangen notwendigen Sprung zur Wasserkühlung zu schaffen. Dafür gelang aber der zweite Absprung perfekt. Porsche war in seiner durchaus wechselvollen Geschichte immer dann am besten, wenn es gelang, die Porsche-DNA mit den jeweils prägenden Zeitströmungen zu verbinden. Beispiel 356: In erster Linie war der Erstling natürlich eine pure Herzensangelegenheit für Ferry Porsche. Aber nebenbei handelte es sich auch um das goldrichtige Modell, um langsam eine solide Autoproduktion hochzufahren. Gleiches Gespür für die Märkte zeigte man später mit der anfangs durchaus umstrittenen Einführung von Cayenne und Panamera, mit der Porsche vom reinen Sportwagenhersteller zum Premium-Komplettanbieter mutierte, was die Marke letztlich in neue Sphären führte. Egal, ob Jaguar, Maserati oder bald sogar Ferrari – am Ende musste jeder Sportwagenhersteller auf diesen Zug aufspringen, während Porsche schon einen mächtigen Vorsprung herausgefahren hatte. Also: Gmünd-Porsche und Panamera markieren beide – jeder in seiner Epoche – begehrenswerte Luxus- und Fahrspaß-Objekte.
Und dann wären da natürlich noch die außergewöhnlichen Leistungen der Porsche-Ingenieure, die sich wie ein starker roter Faden durch die Markengeschichte ziehen. Schon die frühen Modelle sorgten durch Qualität und unbedingten Alltagsnutzen für enormes Vertrauen in die Marke, während zu jener Zeit italienische und britische Sportwagen ebenso verehrungswürdige wie grauenhafte Diven sein konnten.
Gmünd-Porsche und Panamera dürfen beide als technologische Speerspitzen ihrer Zeit gelten. Die ersten 356er mögen auf zart frisierter VW-Technik basieren, aber in Sachen Aerodynamik und Fahrdynamik waren sie der Konkurrenz so weit voraus, dass es in Tausenden Rennschlachten gelang, deutlich hubraumstärkere Gegner zu ärgern. Die leichte Alukarosserie der Gmünd-Porsche war ein Gebot der Materialnot in den ersten Nachkriegsjahren, denn an Stahl kam man noch schwerer heran als an Aluminium. Beim aktuellen Panamera wird zur Gewichtsoptimierung eine Hybrid-Bauweise angewandt, die einen Alu-Anteil von 45 Prozent erreicht. Was jetzt noch fehlt, ist das wichtigste Porsche-Asset. Fahrdynamik definiert sich heute ganz anders als vor 70 Jahren. Während der Panamera – wie jeder Porsche – einen durch und durch sicheren Eindruck erweckt, möchte man in einem Gmünd-356 nicht einmal einen Parkschaden erleben – und zwar nicht nur wegen der Legenden-Zerstörung. Gewicht bedeutet eben auch Sicherheit. Bei aller Liebe zur Zartheit einer Konstruktion.
Und doch finden sich auch Gemeinsamkeiten: die Unmittelbarkeit des Handlings etwa, aber auch Sitzposition und Ergonomie. Beide passen dem Fahrer wie angegossen, allerdings trägt sich der Gmünd-356 wie ein leichtes Chiffon-Hemdchen, während ein Panamera die Sicherheit und Eleganz eines Business-Dreiteilers vermittelt. Und noch etwas Erstaunliches wäre da: Tritt man ein paar Schritte zurück und kneift die Augen eng zusammen, dann verschwimmen die Linien und plötzlich findet man Perspektiven, in denen Gmünd-356er und Panamera wie Geschwister wirken. Das Rundliche im Design war stets ein stilbildendes Element der Porsche-DNA.