964 RS Versuchsträger

Mehr als die Summe der Teile

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K 47 hatte kein einfaches Leben. Basierend auf diesem Versuchsfahrzeug entwickelte Porsche all jene Teile, die in den späteren Sportversionen der Baureihe 964 zum Einsatz kamen. Heute darf K 47 als Urvater aller 964 RS gelten – und er hat im Originalzustand überlebt.
Porsche 964 RS Versuchsträger
© Tobias Kindermann

Manchmal weiß man nicht, wen man mehr bedauern soll: die Testfahrer oder ihr Testfahrzeug. 50 Runden auf einem Skidpad mit 200 Metern Durchmesser im Porsche-Versuchszentrum in Weissach entsprechen einer Strecke von etwa 30 Kilometern. K 47 wurden Slicks untergeschnallt, dann wurde die Distanz am Stück so schnell wie möglich durchfahren. „Wir haben dazu den Fahrersitz verdreht montiert, damit wir die Fliehkräfte besser ertragen. Sonst bekommt man mit dem Genick Probleme“, erklärt Roland Kussmaul, ehemaliger Entwicklungs- und Renningenieur bei Porsche. Prüfpunkt dieser Übung: Wie verhält sich die Ölversorgung von Motor und Getriebe bei extremen Querbeschleunigungen, welche Auffälligkeiten gibt es am Fahrwerk und wie heiß werden etwa die Radlager?

Ergebnis: Der Motor zeigte sich unbeeindruckt, aber die Temperaturen der Radlager kamen in Regionen, die Handlungsbedarf erforderten. Die Toleranzen der vorderen Radträger wurden neu berechnet, um dem Lager auch in heißen Zeiten sicheren Sitz zu geben. „Da ging es um tausendstel Millimeter.“

Porsche 964 RS Versuchsträger - EINER DER ERSTEN MIT HECKANTRIEB

Andere Punkte waren zu diesem Zeitpunkt schon abgearbeitet, dazu gehörte die Kupplung. Denn ursprünglich war K 47 im Jahr 1988 als Versuchsfahrzeug für Getriebetests gebaut worden. Die ersten 50 Fahrgestellnummern reservierte Porsche für Testträger, das K zeigt, dass es sich um ein Fahrzeug des Modelljahrgangs 1989 handelt. Dies sollte das letzte Modelljahr werden, in dem Porsche den 911 Carrera 3.2 anbot, gleichzeitig lief der 964 als Allradversion an.

Der 964 besaß in seinem ersten Modelljahr noch die Kupplung des Vorgängermodells. K 47 war ein Versuchsträger für die Erprobung des Zweimassenschwungrades (ZMS), das ab dem Modelljahr 1990 folgen sollte, und zudem einer der ersten 964 mit Heckantrieb, die Porsche ebenfalls zu diesem Zeitpunkt ins Programm nahm. Dieses Schwungrad sollte mehr Komfort beim Anfahren bieten und vor allem Getrieberasseln in Drehzahlen unterhalb von 2500/min beseitigen.

K 47 wurde zunächst für Serienversuche eingesetzt, doch da Porsche schon damals an die Entwicklung von 964 Cup und 964 RS dachte, kam der Kontakt zur Rennabteilung und Roland Kussmaul zustande. „Deswegen wurde der Wagen auch für die Entwicklung eines sportspezifischen Getriebes genutzt. Dazu gehörte auch die Entwicklung der Sperre und einer renntauglichen Kupplung. So eine Kupplung muss viele harte Anfahrversuche mit Slicks aus dem Stand überstehen, was eine Serienkonstruktion nicht immer kann.“

Roland Kussmaul war zu dieser Zeit auch als Testfahrer im Einsatz und bekam den Auftrag, das neue Zweimassenschwungrad einer Prüfung zu unterziehen. „Das war recht schnell erledigt, nach einigen rennmäßigen Anfahrversuchen besaß ich keinen Vortrieb mehr. Dabei hatte ich dazu nur Straßenreifen montiert, keine Slicks.“ Die zur Dämpfung eingesetzten Gummielemente hatten der Belastung nicht standgehalten, sehr zum Leidwesen der Getriebeentwickler. Der erste Punkt auf dem Weg zum Porsche 964 RS war damit die Entwicklung eines Einmassenschwungrades, das zudem auch noch das Gewicht der Kupplung um elf Kilogramm senken sollte.

964 RS Versuchsträger Roland Kussmaul
© Tobias Kindermann

GETRIEBEMAHLEN BIS 2500/MIN

Die Begeisterung bei Porsche über diesen Schritt hielt sich in Grenzen: „Wir sind dann ein Auto ohne ZMS gefahren, und der erste Eindruck war schrecklich. Im warmen Zustand gab es bis 2500/min ein Getriebemahlen, das ein normaler Mensch als Defekt bezeichnen würde.“ Für die Straße könne man so etwas nicht anbieten, das solle ausschließlich Rennversionen vorbehalten sein, meldeten sich mahnende Stimmen. Doch zum Einbau gab es kaum eine Alternative.

Da der 964 RS auch die Basis für den Einsatz in der seriennahen N/GT-Klasse bilden sollte, wäre es vom Reglement her nicht möglich gewesen, nachträglich eine Einmassenkupplung zu verbauen. Viele Dinge, die Porsche dem 964 RS mitgab, wurden unter dieser Prämisse entwickelt und umgesetzt. Für die Cup-Porsche galt die umgekehrte Marschrichtung. Eine Straßenzulassung war möglich. Das Rennauto sollte auch hier ohne zu große Kompromisse bewegt werden können.

Porsche bot den 964 RS deshalb auch mit Touring-Paket (M002) an, unterschätzte dabei aber, wie die Fans tickten: Überwiegend orderten die Kunden den Basis-RS mit dem vernehmbar rasselnden Getriebe (1913 Exemplare). Von der Touring-Version soll es dagegen nur 76 Stück gegeben haben. Die N/GT-Variante (M003) ohne Straßenzulassung für den Rennsport war auch ein Verkaufserfolg: 290 Exemplare kamen auf die Rennstrecke. Von den Cup-Fahrzeugen baute Porsche in vier Jahren 297 Fahrzeuge.

K 47 stand schließlich mehr in der Rennabteilung als bei den Serienentwicklern. „Wir haben dann immer mehr Aufgaben bekommen, um den 964 Cup zu entwickeln, also blieb das Auto bei uns.“ Der 964 Cup sollte der Nachfolger für den 944 Turbo Cup in Porsches Markenpokal werden. Dieser 944 war noch von der Serienabteilung entwickelt worden, auch der 964 Cup war zunächst dort angesiedelt, ebenso der RS. Doch dann setzte Porsche lieber auf das Know-how der Rennabteilung, wo man noch konsequenter auf Performance und Homologation hinarbeitete.

K 47 wurde auf diese Weise das erste Entwicklungsauto für alle Sportversionen, mit dem viel Basisarbeit betrieben wurde, und blieb es auch für lange Zeit. Welche Felgen- und Reifengrößen sollten zum Einsatz kommen, welche Bremse – all diese Dinge erledigte der rote Porsche. „Er deckte auch auf, dass man nicht nur das Innenleben des Getriebes anpassen, sondern auch den vorderen Gehäusedeckel und die Abdeckung des Differentialgetriebes verstärken musste. Die hatten im harten Einsatz Risse bekommen.“

Auch die unterdruckverstärkte Bremsanlage der heckgetriebenen Ausgangsbasis erwies sich als nicht ideal. Porsche ersetzte sie durch das hydraulische System aus dem allradgetriebenen 964 und dem Turbo. „Wenn man auf eine pneumatisch gesteuerte Bremse aus dieser Zeit kurz mit großer Kraft tritt, um auf der Rennstrecke hart zu verzögern, verhärtet das Bremspedal für den Bruchteil einer Sekunde und der Wagen bremst nicht. Das kann man im Rennen nicht gebrauchen“, führt Roland Kuss- maul aus. Das hydraulische System dagegen stellte über ein Reservoir jederzeit sofort die volle Bremsunterstützung bereit. „Später gab es für pneumatische Unterstützungen sogenannte Quick-Fill-Systeme, die den Unterdruck schnell aufbauen konnten.“

964 RS Versuchsträger
© Tobias Kindermann

Porsche 964 RS - ERSTES ENTWICKLUNGSAUTO FÜR ALLE SPORTVERSIONEN

Der rote Testwagen erhielt immer als Erster die Änderungen, so verwandelte er sich Stück für Stück in den späteren RS. Dazu gehörte auch das anders abgestimmte Fahrwerk mit härteren Federn und angepassten Dämpfern. Die Servolenkung flog ebenfalls heraus. Der Antrieb der Pumpe kostete Leistung und brachte zusätzlich Gewicht mit, zudem konnte sie im Renneinsatz Probleme bereiten, wenn die Servoflüssigkeit wegblieb. Die mechanische Lenkung bekam dazu eine direktere Übersetzung.

Bei den Abstimmungsfahrten ging es oft pragmatisch zu. Die rund 1200 Kilometer lange Anreise zu Reifentests in Vallelunga legten die Tester auf eigener Achse zurück, um die Straßentauglichkeit der Sportversionen zu überprüfen. Roland Kussmaul: „Das war für uns auch kostengünstiger. Wir brauchten keinen Lkw, sondern fuhren einfach mit dem Einsatzauto direkt hin. Die Mechaniker reisten mit dem Material in einem VW Bus oder einem kleinen Transporter an.“
Der Leiter der Serien in den Cup-Markenpokalen war zu dieser Zeit Jost Capito, der heutige Teamchef des Formel-1-Teams von Williams. Kussmaul und Capito fuhren die Strecke gemeinsam in zwei Fahrzeugen. Ein Fahrzeug hatte Serienbeläge, K 47 dagegen Rennbeläge. Diese Mischungen haben den Nachteil, dass sie Geräusche machen und im kalten Zustand oder bei Nässe schlecht verzögern. 2400 Kilometer waren genug, um herauszufinden, ob ein guter Kompromiss erreicht worden war. Auch die vielen Details, die einen RS vom Serien-964 unterscheiden, fanden vorher ihren Weg in K 47: die Alu-Kofferraumhaube mit Stange zum Halten, andere Motorlager, vergrößerte Einstellbereiche im Kinematikbereich, die Domstrebe vorn, die Bremskühlungsöffnungen, die an die Stelle der Nebelscheinwerfer traten, die Dünnglasscheiben. Teile der Dämmung wurden entfernt. Dazu kamen Uniball-Lager oben im Federdom und eine härtere Gummimischung für den unteren Anlenkpunkt am Querlenker. Auch die ABS-Abstimmung fand mithilfe des roten Porsche statt. „Rennreifen haben andere Schlupfwerte, zudem mussten wir das ABS auf unterschiedliche Abrollumfänge an Vorder- und Hinterachse anpassen. Das war eine aufwendige Geschichte.“ Dazu kam eine Besonderheit: Trat der Fahrer besonders stark auf das Bremspedal, konnte man so das ABS ausschalten. Mit blockierenden Rädern erreichte man bei einem Abflug ins Kiesbett oder auf Gras viel bessere Verzögerungswerte.

„Wir wären bei einigen Modifikationen gerne weitergegangen, doch wir mussten auch darauf Rücksicht nehmen, dass die Wagen auf demselben Band wie der Serien-964 in Zuffenhausen gefertigt wurden.“ In die Produktionsabläufe einzugreifen, verbot sich. Einen Überrollbügel dort zu montieren, wäre nicht möglich gewesen: „Es gibt Sensoren, die erkennen, ob es sich um ein Coupé, einen Targa oder ein Cabrio handelt. Dadurch wären sie durcheinandergekommen.“

SECHSGANGGETRIEBE im 964 RS WIE BEIM NACHFOLGER 993

In einigen Punkten weicht K 47 von normalen RS ab: Er besitzt ein Sechsganggetriebe, das erst mit dem 993 in Serie ging. Die Getriebe-Konstruktion gab es jedoch schon etwas früher. Roland Kussmaul plante, es als Nachrüstoption für 964-Cup-Fahrzeuge anzubieten. „Das wäre für die Rennen ein Vorteil gewesen. Doch dann fiel der interne Beschluss, dem 993 nicht vorzugreifen.“

Und dann sind da noch die Türtafeln aus dem Serienwagen samt Fensterheber. Dass sie im Wagen blieben, hat einen einfachen Grund:
„Wenn wir durch Frankreich fuhren, war das an den Zahlstellen der Autobahn viel bequemer. Da war es einfach komfortabler, einen Fensterheber zu besitzen, auch weil an Renn- strecken das Pförtnerhäuschen oft rechts war. Und auf die Gesamtperformance hatten die Türverkleidungen eher geringen Einfluss.“ So hielt Kussmaul es auch mit den Sitzen: Nur auf der linken Seite gibt es eine RS-Schale, rechts ist eine zahmere Recaro-Straßenvariante verbaut, die sich im Alltag umgänglicher gibt.

Im Juli 1993 war die Karriere nach 75.300 Kilometern im harten Testalltag beendet. Der Nachfolger 993 kam auf den Markt, K 47 wurde nicht mehr benötigt. Roland Kussmaul durfte den Wagen erwerben, mit dem er so viele Stunden beim Testen verbracht hatte – sie blieben bis heute ein Team.


Diesen Porsche 964 RS-Artikel (mit weiteren Fotos) finden Sie in unserer Ausgabe 4-2021.

Roland Kussmaul Porsche 964 RS
© Tobias Kindermann
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