911 Vonnen Shadow Drive

Grüne Welle

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Elephant Racing aus den USA geht zwei Schritte vor und einen zurück. Auf der Basis des 991 bauen die Amerikaner den ersten E-Hybrid-Elfer, der mit Strom und Super Plus fährt. 75.000 Dollar kostet der Umbau, das Ergebnis überzeugt.
Hybrid 911 Vonnen
© Kyle Fortune

Das Silicon Valley in Kalifornien. Elektroautos des US-Pioniers Tesla prägen das Straßenbild. Das ist auch kaum verwunderlich, denn wo sonst haben sich so viele Hightech-Unternehmen von Rang und Namen angesiedelt. Aber auch etliche kleinere innovative Firmen tummeln sich zwischen den Giganten. Dazu gehört Elephant Racing, ein auf Porsche-Fahrzeuge spezialisierter Betrieb. Hier trifft traditionelles Wissen auf neues Denken; die Philosophie, die diese Gegend so auszeichnet.

Chuck Moreland, der Inhaber von Elephant Racing, erzählt: „Wir saßen wie so oft zusammen, unterhielten uns über dieses und jenes, und irgendwer kam auf die Idee, ob man nicht einen vorhandenen 911 zum Hybridauto umbauen könnte.“
Drei Jahre später stehen wir zusammen um einen Motor und ein Getriebe und diskutieren darüber, wie das alles genau zustande kam. Sozusagen als Nebenwirkung entstand dabei die neue Marke Vonnen. Laut Moreland ist der Name „erfunden“, später ergänzt er aber, dass diese Bezeichnung auf alte Kriegsschiffe zurückgeht, die sowohl mit Rudern als auch mit Segeln ausgerüstet waren. Was absolut zutreffend ist, denn Vonnen hat einen 911 Hybrid gebaut, dessen vorhandener Boxermotor von einem Elektromotor unterstützt wird.

Mit einem ähnlich kreativen Wortspiel bezeichnet Vonnen das Hybridsystem als Shadow Drive („Schattenantrieb“), denn der im Verborgenen zwischen Motor und Getriebe angeordnete Elektroantrieb erforderte keinerlei tiefer gehende Eingriffsmaßnahmen am Verbrennungsmotor selbst. Sinngemäß bekamen die Ruder des Boxers also zusätzliche Segel.

E-MOTOR im 911 Hybrid UNTERSTÜTZT SECHSZYLINDER

Elektro 911
© Kyle Fortune

Dieser 911 Hybrid wurde allerdings nicht auf Sparsamkeit, sondern auf Leistung getrimmt. Tuning der Zukunft unter Beibehaltung der nötigen Wirtschaftlichkeit, Emissionswerte und Schadstoffeinstufung ‒ was in Kalifornien einen immensen Stellenwert hat. Die erste Hybridausführung, die Moreland mit seiner Mannschaft umgesetzt hatte, sah etwas anders aus als die heutige Lösung. Der ursprüngliche Prototyp war ein 996 Carrera 4, bei dem der Elektromotor auf die Vorderradantriebswelle wirkte.
Das funktionierte zwar, aber Moreland erklärt dazu: „Es war mehr ein Machbarkeitsnachweis, mit dem wir viele Erfahrungen sammeln konnten und feststellten, dass es einige Möglichkeiten für Verbesserungen gab. Das größte Problem war, dass die Kraft des Elektromotors erst nach dem Getriebe auf die Antriebswelle wirkte und wir dessen Übersetzungsvorteile nicht nutzen konnten.“ Die zweite, aktuelle Lösung konnte schon viel mehr.
Vonnen integrierte zwischen Motor und Getriebe einen Axialfluss-Elektromotor. Das Schwungrad und der nicht mehr benötigte elektrische Anlasser entfielen, dennoch stand ein nur 26 mm breiter Einbauraum zur Verfügung.
Unter einem 911 geht es ziemlich eng zu, daher mussten im Getriebeflanschbereich geringe Änderungen vorgenommen werden, um alles passend zu machen. Der Elektromotor erforderte Batterien, die sich im Vorderwagen unter dem Stauraumboden verstecken. Daneben befinden sich die Invertereinheit sowie zusätzliche Kühler für die Flüssigkeitskühlung der verschiedenen Hybridkomponenten.

911 Vonnen Shadow Drive
© Kyle Fortune

An dem 991 Carrera 3.4 der ersten Serie, den Vonnen mit Shadow Drive ausgerüstet hat, ist dieser Inverter sichtbar. Er muss allerdings nicht unbedingt unter der Heckscheibe angeordnet werden, wie es hier der Fall ist. Laut Bill Davis, Ex-Tesla-Ingenieur und nun Vize-Direktor bei Vonnen, kann er auf Kundenwunsch auch versteckt werden. So geschehen, würde von außen nichts auf die Kraft der zwei Herzen dieses 911 Hybrid schließen lassen, wenn nicht die auffällige orange-weiße Vonnen-Lackierung einen Hinweis darauf gäbe, dass dies kein gewöhnlicher Carrera ist.

Davis erläutert, dass der Shadow Drive zur Serienleistung von 350 PS und 390 Nm Drehmoment maximal weitere 150 PS und 200 Nm liefern kann. Diese Spitzenwerte muüssen aber relativ gesehen werden, da in den verschiedenen von Vonnen ausgetüftelten Fahrmodi nicht immer die ganze Kraft des Elektromotors abgerufen wird.
Insgesamt sind drei Modi vorhanden: Street, Sport und Overboost. Im Street-Modus stehen von 40 bis 60 % Drosselklappenöffnung 125 Nm zur Verfügung, im Sport-Modus gibt es 0 bis 110 Nm zwischen 65 und 95 % und Overboost packt bei gleicher Drosselklappenstellung wie im Sport-Modus die vollen 200 Nm dazu.
Die Reduzierung des Drehmoments in den „gemäßigten“ Betriebsmodi trägt dazu bei, die entstehenden Systemtemperaturen auf erträglichem Niveau zu halten, d.h. ein dauerhafter voller Einsatz wäre nicht möglich.

NUR BEIM FAHREN WIRD DIE BATTERIE des 911 Hybrid GELADEN

Ein alleiniges Fahren mit Shadow Drive ist nicht vorgesehen, ebenso sind auch keine emissionssenkenden Modi oder eine externe Lademöglichkeit für die Batterien vorhanden. (Für den Fall, dass der Wagen über einen längeren Zeitraum abgestellt wird, kann wie bei einem herkömmlichen Auto eine Art Erhaltungsladegerät angeschlossen werden, das eine Mindestspannung sicherstellt.) Das eigentliche Laden der Batterien erfolgt entweder durch die Rückgewinnung beim Verzögern oder die Antriebsleistung des Verbrennungsmotors. Dabei arbeitet der Elektromotor dann als Generator.
Der Boxermotor im Heck weiß dabei nicht, dass noch ein Elektromotor vorhanden ist; die Motorelektronik blieb unverändert. Ihre CAN-Bus-Signale werden auch an den Shadow Drive übermittelt, damit bei Bedarf die Zusatzleistung abgerufen werden kann. Am PDK-Getriebe waren im Hinblick auf die Mechanik keine Änderungen erforderlich. Allerdings musste die Programmierung des Getriebesteuergeräts angepasst werden, um den Schlupfbereich der Kupplungen zu minimieren.

Hybrid 911 Vonnen
© Kyle Fortune

Das Genialste an diesem System ist, dass es angeblich in jeden 911 eingebaut werden kann. Laut Moreland würde es in jedes Modell bis zurück in die sechziger Jahre passen. Da diese frühen Wagen aber noch keine elektronischen Steuerungen hatten, müssten zur Überwachung des Systems einige zusätzliche Mikroschalter und -sensoren eingebaut werden. Aber das wäre, so die klugen Köpfe von Vonnen, relativ einfach zu bewerkstelligen.
Hier liegt der wohl größte Vorteil: Die Leistung älterer Autos kann dadurch deutlich gesteigert und gleichzeitig ihre Originalität weitgehend erhalten werden. Folgt man Davis, ist es gleichgültig, ob es sich dabei um einen Saug- oder Turbomotor handelt, ob er serienmäßig oder leistungsgesteigert ist, ob ein Schalt- oder Automatikgetriebe oder ein Heck- bzw. Allradantrieb vorhanden ist ‒ der Shadow Drive ließe sich überall anpassen. Die Vorstellung, dass sich mit Shadow Drive die Leistung eines frühen 911 mit 2,0-Liter-Motor fast verdoppelt, könnte wahrscheinlich für etliche interessant sein. Zumal es ja immer noch die Möglichkeit gibt, es abzuschalten.

Das Platznehmen im Vonnen 991 Carrera 3.4 unterscheidet sich nicht wesentlich von anderen 911ern. Lediglich die Spiegelung des Inverters in der Heckscheibe und der große Vonnen-Schriftzug auf der Windschutzscheibe weisen optisch auf die Besonderheit hin. Beim Starten fehlt das typische Anlassergeräusch, der Verbrennungsmotor wird über den Elektromotor angelassen, der auch die Start-Stopp-Funktion im Stadtverkehr übernimmt. Da der eigentliche Startermotor nicht mehr vorhanden ist, ist diese Funktion auch bei abgeschaltetem Hybridantrieb verfügbar.
Die Wahl zwischen den Antriebsmodi ist einfach, Vonnen hat eine Smartphone-App entwickelt, die den Status des Systems und die verschiedenen verfügbaren Antriebsmodi anzeigt.

© Kyle Fortune

SIRREN BEGLEITET BOXER-SOUND

Wir rollen über die Straßen, und bei den Geschwindigkeiten im Stadtverkehr ist die Wirkung noch sehr subtil, eine wirkliche Veränderung des Carrera-Charakters noch nicht spürbar. Auch das höhere Gewicht fällt nicht unmittelbar auf, denn Motor, Batterien, Kühlsystem, Wechselrichter und Verkabelung wiegen insgesamt etwa 77 kg, wobei man davon das nicht mehr vorhandene Schwungrad und den Anlasser noch abziehen muss.
Deutlicher wird es im Street-Modus, wenn beim untertourigen Fahren im hohen Gang die Drosselklappe weiter geöffnet wird. Ein Zurückschalten wie bei einem normalen Carrera ist nicht mehr nötig, denn der Shadow Drive liefert den erforderlichen zusätzlichen Schub. Das sorgt für mehr Bequemlichkeit in der Stadt; allerdings könnte der Effekt weiter verbessert werden, wenn das System schon bei geringerem Öffnungswinkel der Drosselklappe Unterstützung leisten würde und man so mehr von der elastischen Wirkung der zusätzlichen Hybridkraft profitieren könnte.

Nach dem Verlassen der Stadtgrenze setzt der Shadow Drive immer häufiger und spürbarer ein. Die Straße folgt dem Geländeverlauf und windet sich schwungvoll durch den Wald hinauf in die Berge. Jetzt erscheint der Sport-Modus angemessen, auch wenn hier im Interesse der Systemfunktionalität nicht das maximal mögliche Drehmoment zur Verfügung steht.
Das wird jedoch damit ausgeglichen, dass die Unterstützung über einen größeren Bereich des Gaspedalweges vorhanden ist. Ab 65 % Drosselklappenöffnung sorgt der Shadow Drive mit 110 Nm für einen ordentlichen zusätzlichen Schub. Der Einsatz des E-Motors wird dabei nicht nur durch eine farbige Grafik auf dem Bildschirm des Smartphones dargestellt, sondern auch durch ein gefälliges elektrisches Sirren begleitet, das den vertrauten Sound des Boxers untermalt.
Vom anfänglichen Empfinden her scheint der Leistungsgewinn gar nicht so bedeutend auszufallen, aber ein Blick auf den rasant ansteigenden Tachometer beweist die Fehleinschätzung der eigenen Sensorik. Das ist auf die gelungene Gesamtabstimmung zurückzuführen. Der Sound des Verbrennungsmotors ist nämlich unspektakulär und entspricht mehr oder weniger der Serie. Dazu ist die Unterstützung des Elektromotors perfekt eingebunden und setzt linear, aber nachdrücklich und ohne einen deutlich ausgeprägten Kick ein. Es ist einfach mehr Leistung vorhanden ‒ und davon viel.

Hybrid 911 Vonnen
© Kyle Fortune

Man muss sich immer wieder daran erinnern, dass man hier „nur“ in einer Basisausführung des Carrera 3.4 sitzt, die also weder ein Turbo- noch ein GT-Emblem auszeichnet. Im Modus Overboost schließlich ist der Name Programm. Damit beschleunigt der Carrera derart brachial aus dem Stand heraus, dass er bei Viertelmeilen-Rennen nicht auf Gegner, sondern nur auf Opfer trifft. Allerdings benötigt der Elektroantrieb danach auch eine Abkühlphase.

HYBRIDUMBAU BLEIBT KOSTSPIELIG

Das Befahren der kurvenreichen kalifornischen Bergstraßen im Sport-Modus ist ein wahrer Genuss. Der unmittelbar einsetzende zusätzliche Schub unterstützt enorm das Herausbeschleunigen aus den Kurven, erfordert aber wegen der nun davor erreichten höheren Geschwindigkeiten auch stärkere Bremskräfte. Daran gewöhnt man sich schnell, bis es irgendwann normal ist. Wenn man jedoch den Shadow Drive abschaltet, spürt man deutlich, wie sehr er doch unterstützt hat. Die Leistung des Carrera fühlt sich auf einmal etwas unzureichend an, besonders wenn bei niedrigen Drehzahlen die Drosselklappe weit geöffnet wird. Hier hat der Antrieb seine größte Wirkung entfaltet.
Diese Zusatzleistung würde bei einem frühen 911 noch stärker spürbar sein, weil sein niedrigeres Gewicht und die schmaleren Reifen auch geringere Fahrwiderstände verursachen. Dabei bleibt der Charakter des ursprünglichen Autos weitgehend erhalten.

Hybrid 911
© Kyle Fortune

Unbestreitbar liefert der Shadow Drive eine zusätzliche verwertbare Leistung, doch im Falle des hier vorgestellten Carrera stellt sich auch die Frage nach der Wirtschaftlichkeit. Ja, er ist schnell, aber mit rund 75.000 Dollar ist es ein sehr kostspieliger Umbau, der rational nur schwer zu rechtfertigen ist ‒ auch wenn es sich um eine perfekt entwickelte Lösung handelt, mit der die Leistung gesteigert werden kann und gleichzeitig die Fahrbarkeit sowie der Charakter des Originalautos erhalten bleiben.
Zweifellos wird es dafür etliche Interessenten geben, darunter sicher auch solche, die mit ihrem 911 Hybrid ein wenig angeben wollen. Die wirkliche Chance der Vonnen-Entwicklung liegt in dem darin befindlichen Potenzial und der Einbaumöglichkeit in ältere Autos. Den Beweis dafür, dass ein hybrider 911 machbar ist und gut funktioniert, hat er jedoch geliefert. Silicon Valley - Stuttgart 1 : 0.

Vielleicht bringt die Zukunft noch mehr von dem, was uns alle begeistert und vor allem auch für die Vergangenheit verwendet werden kann.


Diesen Artikel finden Sie in Ausgabe 2-2020.
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